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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Mitglied der eigenen Gesellschaft mit Namen, sondern auch viele oder die meisten feindlichen Krieger, die man töten will – wegen der wechselnden Allianzen und gelegentlicher Eheschließungen sind die Nachbarn als Einzelpersonen bekannt. Unter den Beschimpfungen, die von den Dani-Kriegern während der im Kapitel  3 geschilderten Kämpfe ausgestoßen wurden, waren auch persönliche Beleidigungen. Wer einmal die
Ilias
gelesen hat, wird sich an etwas ganz Ähnliches erinnern: Die griechischen und trojanischen Feldherren nannten sich mit Namen, bevor sie darangingen, sich gegenseitig im Kampf umzubringen – ein berühmtes Beispiel sind die Ansprachen, die Hektor und Achilles aneinander richteten, bevor Achilles seinen Gegner Hektor tödlich verwundete. Persönliche Rachegefühle gegen einen ganz bestimmten Feind, von dem man weiß, dass er einen Angehörigen oder Freund umgebracht hat, spielen in der traditionellen Kriegsführung eine große Rolle, während sie in modernen staatlichen Kriegen mehr oder weniger bedeutungslos sind.
    Ein anderer psychologischer Unterschied liegt in der Selbstaufopferung, die in der modernen Kriegsführung gepriesen wird, in traditionellen Kriegen aber unbekannt ist. Die Soldaten moderner Staaten erhalten häufig im Namen ihres Landes den Befehl, Dinge zu tun, in deren Verlauf sie mit hoher Wahrscheinlichkeit getötet werden, beispielsweise wenn sie in offenem Gelände gegen stacheldrahtgesicherte Verteidigungsanlagen vorgehen sollen. Andere Soldaten fassen selbst den Entschluss, ihr Leben zu opfern, zum Beispiel indem sie sich auf eine geschleuderte Handgranate werfen, um so das Leben ihrer Kameraden zu retten. Während des Zweiten Weltkriegs beteiligten sich Tausende von japanischen Soldaten – anfangs freiwillig, später unter Druck – an Angriffen, die mit Selbstmord verbunden waren: Sie steuerten Kamikazeflugzeuge, bemannte Baka-Flugbomben oder Kaiten-Torpedos auf amerikanische Kriegsschiffe. Solche Verhaltensweisen setzen voraus, dass die zukünftigen Soldaten von Kindheit an darauf programmiert werden, pflichtschuldigen Gehorsam zu bewundern und sich für das eigene Land oder die eigene Religion zu opfern. In der traditionellen Kriegsführung in Neuguinea habe ich von solchen Verhaltensweisen nie gehört: Jeder Krieger verfolgt das Ziel, den Feind zu töten und selbst am Leben zu bleiben. Als beispielsweise einige Wilihiman während eines Überfalls am 11 . Mai 1961 den Widaia-Mann Huwai gefangen nahmen und töteten, flüchteten Huwais Kameraden, die nur zu zweit und damit in der Minderzahl waren, ohne den Versuch zu seiner Rettung zu unternehmen; und als Widaia sich am 10 . Juni auf die Lauer legten und den bereits verletzten Wilihiman-Jungen Wejakhe töteten, ergriffen die anderen drei Wilihiman – ein Mann und zwei Jungen – auf ganz ähnliche Weise die Flucht. Traditionelle Gesellschaften und Staaten unterscheiden sich auch in der Art ihrer Soldaten. Alle staatlichen Armeen beschäftigen Vollzeit-Berufssoldaten, die über Jahre im Feld bleiben können, während Zivilisten sie unterstützen und Nahrung für sich selbst und die Soldaten anbauen. Die Berufssoldaten bilden entweder die gesamte Armee (wie derzeit in den Vereinigten Staaten), oder sie werden (vor allem in Kriegszeiten) durch Freiwillige oder Wehrpflichtige ergänzt. In Horden oder Stämmen dagegen, so auch bei den in Kapitel  3 beschriebenen Dani, sind die Krieger keine Berufssoldaten, und das Gleiche gilt auch für alle oder fast alle Krieger von Häuptlingstümern. Es handelt sich vielmehr um Männer, die normalerweise Jagd, Landwirtschaft oder Viehzucht betreiben und diesen Nahrungserwerb für einige Stunden oder höchstens wenige Wochen unterbrechen, um zu kämpfen; anschließend gehen sie wieder nach Hause, weil sie bei Jagd, Ackerbau oder Viehzucht gebraucht werden. Deshalb können traditionelle »Armeen« nie über einen längeren Zeitraum im Feld bleiben. Diese grundlegende Tatsache verschaffte den europäischen Kolonialsoldaten in ihren Eroberungskriegen gegen Stämme und Häuptlingstümer auf der ganzen Welt einen entscheidenden Vorteil. Manche nichteuropäischen Völker, beispielsweise die Maori in Neuseeland, die Araukaner-Indianer in Argentinien sowie in Nordamerika die Sioux- und Apache-Indianer, waren entschlossene, geübte Kämpfer, die für kurze Zeit große Kräfte mobilisieren konnten und damit einige spektakuläre Erfolge gegen europäische Armeen erzielten. Aber sie wurden

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