Vermächtnis
zwangsläufig zermürbt und schließlich besiegt, weil sie die Kämpfe abbrechen mussten, um die Beschaffung und Produktion von Nahrung wieder aufzunehmen, während die europäischen Berufssoldaten weiterkämpfen konnten.
Moderne Militärhistoriker äußern sich regelmäßig zu der in ihren Augen »ineffizienten« traditionellen Kriegsführung: Hunderte von Menschen können einen ganzen Tag kämpfen, und am Ende wurde entweder niemand oder nur eine bis zwei Personen getötet. Das liegt zum Teil natürlich daran, dass traditionelle Gesellschaften nicht über Artillerie, Bomben und andere Waffen verfügen, mit denen man viele Menschen gleichzeitig töten kann. Die anderen Gründe haben aber damit zu tun, dass Stämme keine Berufsarmee und keine starke Führung besitzen. Traditionelle Krieger machen kein Gruppentraining mit, das sie in die Lage versetzen würde, durch Ausführung komplizierter Pläne oder auch nur durch koordinierte Schüsse eine tödlichere Wirkung zu entfalten. Pfeile wären viel wirkungsvoller, wenn man sie nicht nacheinander, sondern in koordinierten Salven abfeuern würde: Einem einzelnen Pfeil kann ein Feind, auf den gezielt wurde, ausweichen, einem ganzen Schwarm von Pfeilen aber nicht. Dennoch praktizierten die Dani wie die meisten anderen traditionellen Bogenschützen keine synchronen Salven. (Eine Ausnahme waren in dieser Hinsicht die Inuit im Nordwesten Alaskas.) Disziplin und organisierte Formationen sind nur in geringem Umfang vorhanden: Selbst wenn sich vor einer Schlacht Kampftrupps bilden, fallen diese später schnell auseinander, und die Schlacht entwickelt sich zu einem unkoordinierten Durcheinander. Traditionelle Anführer können keine Befehle erteilen, bei denen Ungehorsam mit dem Kriegsgericht bestraft wird. Zu dem Massaker, durch das 1966 die Allianz des Dani-Führers Gutelu zerbrach, kam es wahrscheinlich dadurch, dass Gutelu seine eigenen hitzköpfigen Krieger aus dem Norden nicht davon abhalten konnte, seine Verbündeten im Süden hinzumetzeln.
Einer der größten Unterschiede zwischen traditioneller und staatlicher Kriegsführung betrifft die Unterscheidung zwischen totalem und begrenztem Krieg. Wir Amerikaner sind es gewohnt, den totalen Krieg für einen neuen Begriff zu halten und ihn mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg ( 1861 bis 1865 ) und dem Nordstaatengeneral William Tecumseh Sherman in Verbindung zu setzen. Staaten und Häuptlingstümer verfolgen mit Kriegen in der Regel begrenzte Ziele: Sie wollen die Streitkräfte und die Kampfkraft des Feindes zerstören, verschonen aber sein Land, seine Ressourcen und die Zivilbevölkerung, weil sie darauf hoffen, diese als Eroberer unter ihre Herrschaft zu bringen. Als General Sherman von Atlanta im Landesinneren durch das Kernland der Südstaatenkonföderation an den Atlantik und dann nach Norden durch South Carolina marschierte, wurde er mit seiner ausdrücklich formulierten Politik des totalen Krieges berühmt: Er wollte alles zerstören, was potentiell von militärischem Wert sein konnte, und die Moral der Südstaaten brechen, indem er Lebensmittel mitnahm, Felder abbrannte, Haustiere tötete, landwirtschaftliche Gerätschaften zerstörte, Baumwolle und Baumwollspinnereien in Flammen aufgehen ließ, Eisenbahnlinien in Brand setzte und ihre Schienen so verdrehte, dass man sie kaum reparieren konnte, und Brücken, Eisenbahnwagen, Fabriken, Mühlen und andere Gebäude verbrannte oder sprengte. Shermans Maßnahmen waren das Ergebnis einer genau berechneten Kriegsphilosophie, die er folgendermaßen beschrieb: »Krieg ist Grausamkeit, und die kann man nicht verfeinern … Wir kämpfen nicht nur gegen feindliche Armeen, sondern gegen ein feindliches Volk, und müssen Jung und Alt, Reich und Arm die harte Hand des Krieges spüren lassen … Wir können die Herzen dieser Menschen im Süden nicht ändern, aber wir können den Krieg so schrecklich machen … können sie so kriegsmüde machen, dass Generationen vergehen werden, bevor sie wieder Gefallen daran finden.« Dennoch tötete Sherman weder Zivilisten aus dem Süden noch Soldaten der Konföderation, wenn diese sich ergaben oder gefangen genommen wurden.
Shermans Maßnahmen waren nach den Maßstäben einer staatlichen Kriegsführung tatsächlich die Ausnahme, er war aber nicht der Erfinder des totalen Krieges. Er praktizierte vielmehr in abgemilderter Form das Gleiche, was Horden und Stämme schon seit Zehntausenden von Jahren tun und was auch durch die Skelettreste des oben
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