Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Ausweg mehr sahen.«
    Diese Reaktion ist eine Erklärung dafür, warum eine geringe Zahl australischer Beamter und einheimischer Polizisten in der Lage war, die Stammeskriege im damaligen Territorium Papua-Neuguinea zu beenden. Sie kamen in ein kriegführendes Dorf, kauften ein Schwein, erschossen das Schwein, um die Wirksamkeit ihrer Feuerwaffen zu demonstrieren, rissen die Einfriedungen des Dorfes nieder und beschlagnahmten die Schilde aller Konfliktparteien, damit es für jeden lebensgefährlich wurde, einen Krieg anzufangen; gelegentlich erschossen sie auch Neuguineer, die es wagten, sie anzugreifen. Natürlich sind die Bewohner Neuguineas pragmatisch und erkennen die Wirksamkeit von Gewehren. Dennoch hätte man nicht damit gerechnet, dass sie so leicht eine Kriegsführung aufgaben, die sie seit Jahrtausenden praktizierten, insbesondere da ihre Leistungen im Krieg von Kindheit an gewürdigt wurden und als Maßstab der Männlichkeit galten.
    Dieses überraschende Ergebnis ist damit zu erklären, dass die Bewohner Neuguineas die Vorteile des staatlich garantierten Friedens, den sie selbst ohne Staatsregierung nicht herstellen konnten, zu schätzen wussten. In den 1960 er Jahren verbrachte ich einen Monat in einer kurz zuvor befriedeten Region des Hochlands von Neuguinea, wo rund 20 000 Bewohner noch ungefähr zehn Jahre zuvor ständig gegeneinander Krieg geführt hatten; jetzt wohnten sie in Anwesenheit eines australischen Patrouillenbeamten und einiger neuguineischer Polizisten friedlich nebeneinander. Ja, der Beamte und die Polizisten hatten Feuerwaffen, die Neuguineer dagegen nicht. Aber wenn diese wirklich weiterhin hätten gegeneinander kämpfen wollen, wäre es für sie ungeheuer einfach gewesen, den Beamten und die Polizisten eines Nachts zu töten oder ihnen bei Tag in einem Hinterhalt aufzulauern. Aber das versuchten sie nicht einmal. Dies macht deutlich, dass sie den größten Vorteil einer Staatsregierung zu schätzen wussten: Sie brachte ihnen Frieden.
    Auswirkungen des Kontakts mit Europäern
    War die traditionelle Kriegsführung nach dem Kontakt mit Europäern heftiger, weniger heftig oder unverändert? Diese Frage lässt sich nicht ohne weiteres beantworten: Wenn man glaubt, dass der Kontakt sich auf die Heftigkeit der traditionellen Kriegsführung auswirkt, wird man automatisch misstrauisch gegenüber jedem Bericht außenstehender Beobachter, weil dieser möglicherweise durch den Beobachter selbst beeinflusst wurde und nicht den ursprünglichen Zustand wiedergibt. Als Analogie erklärte Lawrence Keeley, man könne ja annehmen, dass Wassermelonen innen weiß sind und erst rot werden, wenn man sie mit einem Messer anschneidet: Wie soll man jemals beweisen, dass Wassermelonen auch dann rot sind, wenn man sie noch nicht aufgeschnitten hat, um ihre Farbe zu überprüfen?
    Angesichts der vielen zuvor erwähnten archäologischen Befunde und mündlichen Berichte über Kriege vor dem Kontakt mit den Europäern scheint jedoch die Behauptung, die Menschen seien traditionell friedlich gewesen, bis die bösen Europäer kamen und alles durcheinanderbrachten, an den Haaren herbeigezogen zu sein. Dass der Kontakt mit Europäern oder andere Formen von Staatsregierungen die Kriegsführung auf lange Sicht fast immer beenden oder vermindern, ist nicht zu bezweifeln, denn keine Staatsregierung ist interessiert daran, dass die Verwaltung ihres Territoriums durch Kriege gestört wird. Die Untersuchung ethnographisch beobachteter Fälle macht deutlich, dass erste Kontakte mit Europäern die Konflikte auf kurze Sicht verstärken oder abschwächen können; die Gründe liegen in den von Europäern eingeführten Waffen, Krankheiten, Gelegenheiten zum Betreiben von Handel und einer Zu- oder Abnahme der Lebensmittelversorgung.
    Ein gut untersuchtes Beispiel für eine kurzfristige Zunahme der Kämpfe als Folge des Kontakts mit Europäern liefern die Maori, die polynesischen Ureinwohner Neuseelands, die sich um das Jahr 1200  n.Chr. auf den Inseln niedergelassen hatten. Archäologische Ausgrabungen an Festungen der Maori belegen, dass Kriege zwischen ihnen lange vor dem Eintreffen der ersten Europäer weit verbreitet waren. Berichte der ersten europäischen Entdecker seit 1642 und der ersten europäischen Siedler seit den 1790 er Jahren sprechen davon, dass die Maori sowohl Europäer als auch sich gegenseitig töteten. Von 1818 bis 1835 führten zwei von Europäern eingeführte Produkte in den Kriegen zwischen den Maori

Weitere Kostenlose Bücher