Vermaehlung um Mitternacht
auf - der Inbegriff männlicher Unduldsamkeit. „Du sollst nicht allein ausgehen.“
Vorsichtig wich sie einen Schritt zurück. „Nach Whitechapel habe ich Johnston immer mitgenommen, aber heute will ich nicht dorthin.“ Zumindest nicht gleich.
Mit zusammengebissenen Zähnen starrte Alec auf sie hinab. Jetzt konnte Julia erkennen, dass er Schatten unter den Augen hatte und die Falten um seinen Mund tiefer waren als sonst. Und doch ließen ihn diese Anzeichen der Ausschweifung nur noch attraktiver wirken.
Julia überlegte, wie sie wohl aussähe, wenn sie so wenig geschlafen und so viel getrunken hätte wie er. Es war einfach nicht gerecht. Sie warf den Kopf zurück. „Wenn du glaubst, du kannst mich einschüchtern, indem du mich anstarrst, hast du dich getäuscht. Ich bin es durchaus gewohnt, angestarrt zu werden. Tatsächlich vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht angestarrt werde.“
„Das überrascht mich nicht“, erwiderte er grimmig.
Ganz schön unverschämt. Durch die Wimpern lugte sie zu ihm auf und beschloss weise, es ihm durchgehen zu lassen. „Ich muss wirklich los. Bitte ruf mir eine Droschke.“ Sie war stolz darauf, wie kühl und entschieden sie das vorgebracht hatte, obwohl ihr Herz raste. „Lady Birlington kommt um zwei, und ich muss bis dahin noch eine Menge Dinge erledigen.“
Alecs Augen verengten sich. „Dann, meine Liebe, werden wir diese Dinge eben gemeinsam erledigen. In Zukunft wirst du das Haus nicht ohne Begleitung verlassen, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“
Als sie diese besitzergreifenden Worte vernahm, starrte Julia ihn ihrerseits erbost an. „Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe.“
Er beugte sich vor, bis er die Sonne völlig verdeckte. „Reiz mich nicht, Julia.“
Sie öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus. Sie schaute ihn nur an, und ihr Herz klopfte wie verrückt.
Ihr Gesichtsausdruck musste sie zumindest teilweise verraten haben, denn Alecs Miene verfinsterte sich. Ohne Rücksicht auf ihre Umgebung packte er sie an den Ellbogen. „Julia, warum hast du mich geheiratet?“
Die Frage schien ihn genauso zu überraschen wie sie, denn er gab sie sofort wieder frei und machte verwirrt einen Schritt zurück.
„Das weißt du ganz genau.“ Sie rang sich ein Lachen ab. „Aus demselben Grund, warum du mich geheiratet hast: wegen des Vermögens.“
Einen langen Augenblick guckte er auf sie hinunter. Ohne ein weiteres Wort riss er die Wagentür auf und zog den Tritt heraus. „Steig ein.“
Sie hatte das Gefühl, als hätte sich ein tonnenschweres Gewicht auf ihre Brust gesenkt. Sie spielte mit den Bändern ihres Retiküls und fragte sich, wieso die Lage eigentlich gar so hoffnungslos verwirrt war. „Vielleicht sollte ich Johnston suchen und ihn bitten, mich zu begleiten.“ Der alte Reitknecht mochte übellaunig und grimmig wirken, doch zog sie ihn diesem gut aussehenden Fremden, der sie so finster anstarrte, als würde er ihr am liebsten den Hals umdrehen, bei weitem vor.
„Johnston versucht gerade, die Ställe in Ordnung zu bringen.“ Alec streckte die Hand aus und zog sie in den Jagdwagen.
Julia entriss ihm die Hand, sobald sie sicher war, dass sie nicht zu Boden stürzen würde. „Ich sollte eine Droschke nehmen. Ich habe noch so viel zu erledigen, und du ... “
„Und ich begleite dich“, sagte er kurz und setzte sich zu ihr. Sein Oberschenkel berührte den ihren, als er nach den Zügeln griff und die Peitsche auf das Leitpferd niedersausen ließ. Die Pferde liefen los, und gleich darauf ratterten sie die breite Straße hinunter.
Julia verkrampfte die Hände im Schoß und zermarterte sich den Kopf nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. „Es überrascht mich, dass du so munter bist. Letzte Nacht hast du so sie überlegte, wie man es höflich umschreiben könnte, „... so krank ausgesehen.“
„Betrunken heißt das“, erwiderte er finster.
„Edmund nennt es ein bisschen beschickert.“
„Mehr als ein bisschen war es schon, Julia. Da kannst du mir getrost vertrauen.“
Ihm vertrauen? Natürlich vertraute sie ihm. Schließlich hatte sie ihn geheiratet, ihm dabei geholfen, sich das Vermögen seines Großvaters zu sichern, und sich geschworen, ihm bei der Überwindung seiner wüsten Neigungen zu helfen. Letzteres bisher allerdings ohne großen Erfolg.
Ein Hund sprang auf die Straße, und die Pferde scheuten. Alec richtete sich halb auf, stemmte sich breitbeinig gegen die Zügel und zwang das Gespann nieder.
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