Vermaehlung um Mitternacht
Unterhaltung oberflächlich blieb, obwohl er sich ihrer Gegenwart aufreizend bewusst war. Jede Bewegung, die sie machte, erinnerte ihn an die Szene in der Bibliothek - wie sie sich angefühlt hatte, ihren Duft, wie sie geschmeckt hatte. Sie hingegen schien der Vorfall völlig kalt zu lassen, denn sie verriet mit keinem Wort, mit keiner Geste, dass er ihr irgendetwas bedeutet hätte.
Als Alec schließlich den Jagdwagen vor ihrem Heim anhielt, war er grimmig entschlossen, ihr ihr Versprechen ins Gedächtnis zurückzurufen. Mit großer Zurückhaltung half er ihr aus der Kutsche und folgte ihr ins Haus.
Er schloss die Eingangstür und lehnte sich dagegen, wobei er seine Frau intensiv musterte. Sie nahm ihren Hut ab und schüttelte die Locken aus. Eine Haarsträhne blieb ihr am Kopf kleben, eine andere stand wirr ab.
Das war einfach zu viel. Er stieß sich von der Tür ab. „Du hast etwas vergessen, Liebes.“
Sie betrachtete ihr Retikül, prüfte die Hutschachtel, die an ihrem Handgelenk baumelte. „Nein, ich habe alles bei mir.“
Er trat näher, legte eine Hand an die Wand über ihrem Kopf. „Da ist die klitzekleine Sache mit dem täglichen Bußgeld.“
Ihre Augen weiteten sich, und Alec glaubte, so etwas wie Angst in den samtigen Tiefen aufschimmern zu sehen. Beinah wäre er zurückgewichen, bekümmert, einen solchen Blick ausgelöst zu haben. War er letzte Nacht vielleicht heftiger gewesen, als er gedacht hatte? Vielleicht hatte seine Leidenschaft sie überwältigt, obwohl ihm das unwahrscheinlich schien, wenn er an ihre Reaktion dachte. Vielleicht fürchtete sie seine und ihre eigene Leidenschaft.
Seltsamerweise ermutigte ihn dieser Gedanke. Seine aufflammende Lust eisern beherrschend, hob Alec die Hand an ihr Gesicht. Sanft strich er ihr über die Wange, verweilte kurz an ihrem Mund.
Ihre Lippen teilten sich, ihre Augen schlossen sich halb, ihr Atem ging in flachen Stößen. Die Hutschachtel fiel zu Boden und rollte in die Ecke.
Alec ließ die Hand zu ihrem Kinn wandern. Dann beugte er sich vor und strich ihr mit den Lippen vom Kinn zum rechten Ohr. Sie zitterte, klammerte sich mit einer Hand an seinem Rockaufschlag fest. Alec schloss die Augen und zwang sich, den quälenden Kuss mit einer sanften Berührung ihrer Lippen zu beenden. Dann trat er zurück, mit jeder Faser um Selbstbeherrschung ringend.
Julia ließ die Hand sinken und starrte ihn voller Sehnsucht an.
Diesen Ausdruck hatte er zu sehen gehofft. Er wollte sie ganz langsam umwerben, bis sie ihn kannte und ihm vertraute. Er würde ihr zeigen, dass es mehr im Leben gab als die Illusion wahrer Liebe. Es gab die Befriedigung, die Schönheit der Leidenschaft.
Für den Augenblick musste es genug sein. „Du solltest dich umziehen, bevor Lady Birlington kommt.“
Julia blinzelte, als wäre sie gerade aus tiefem Schlaf geweckt worden. „Wer?“
„Lady Birlington“, wiederholte er sanft. Er nahm sie bei der Hand, hob die Hutschachtel auf, gab sie ihr und führte sie zur Treppe. „Soll ich Mrs. Winston mit Tee zu dir hinaufschicken?“
Wie eine Schlafwandlerin nickte Julia und begann verträumt die Treppe hinaufzusteigen, leicht schwankend, eine Hand immer noch dort, wo seine Lippen sie berührt hatten. Alec schaute ihr nach, bewunderte den Schwung ihrer Hüften. Oben drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
Ihre Blicke begegneten sich, und Julia lief tiefrot an. Dann wirbelte sie herum und verschwand in ihrem Zimmer.
14. KAPITEL
Das ärgste Elendsviertel Londons war Tag und Nacht vom Lärm der Betrunkenen, der Sünder und des schmutzigen Pöbels erfüllt, doch die „Vereinigung für Frauen in Not“ bot einen sicheren Zufluchtsort. Die festen Mauern blieben vor Angriffen und Überfällen verschont, und sowohl Schläger als auch Diebe machten einen weiten Bogen um die Örtlichkeit - hauptsächlich weil sie dem freundlichen Reverend Ashton unwillkürlich Respekt zollten.
Julia stieg die schmale Treppe zum Eingang empor. Sie liebte dieses Gebäude. Früher einmal war es ein nicht allzu sauberes Bordell gewesen, jetzt erstrahlte es in einem frischen Anstrich und bot einen verblüffenden Kontrast zu den rußigen Nachbarhäusern.
Sie trat in den glänzenden Flur und strich ihr Kleid glatt, ein einfaches Gewand ohne jeden Aufputz. Im Vergleich zu den kostbaren Roben, die sich nun in ihrem Kleiderschrank drängten, wirkte es fast schäbig. Hier war sie wieder die unscheinbare, einfache Julia Frant. Die Verwandlung trug nicht gerade dazu bei, ihre
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