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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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Großvater erstaunlich ähnlich sah, entging meiner Großmutter genauso wenig wie das langsame Abschmelzen ihrer gemeinsamen Ersparnisse im gleichen Moment, wenn der Kleine etwas Neues zum Anziehen bekam. Natürlich war alles reiner Zufall«, setzte sie ironisch hinzu und streckte die Beine vor sich aus. »Es gibt ja viele braunhaarige, blauäugige Männer in Irland, und der Umstand, dass mein Großvater gern trank, war eine genauso gute Erklärung für die dahinschwindenden Ersparnisse.« Ihre Augen funkelten mich verschmitzt an.
    Verwirrt erwiderte ich ihren Blick, denn ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte. »Tut mir leid, Helena, aber ich weiß nicht recht, warum Sie mir das erzählen.«
    »Weil es auch reiner Zufall sein könnte, dass Sie hier aufgetaucht sind«, lachte sie.
    Ich nickte.
    »Aber meine Großmutter hat nicht an Zufälle geglaubt. Und ich glaube auch nicht daran. Sie sind nicht ohne Grund hier, Sandy.«

Dreizehn
    Helena legte noch ein großes Stück Holz aufs Feuer, und sofort stob ein Funkenschwarm in die Höhe. Flammen erwachten aus der Glut, begannen schläfrig um das Holz zu züngeln und schickten ihre Wärme zu Helena und mir herüber.
    Inzwischen hatte ich schon mehrere Stunden geredet und ihr alle mir bekannten Details über ihre Familie mitgeteilt. Ein ganz ungewohntes Gefühl regte sich in mir – ein Gefühl, das sich ausbreitete, seit ich wusste, wem ich hier begegnet war. Es überkam mich in Wellen, und jede Welle entspannte mich ein bisschen mehr, machte meine Lider ein wenig schwerer, bremste das Karussell meiner Gedanken, löste meine Muskeln. Nur ein ganz kleines bisschen, wohlgemerkt, aber immerhin.
    Mein ganzes Leben lang hatte man mir eingeredet, meine Fragen wären unwichtig, mein Interesse für angeblich verlorene Menschen unnütz, aber nun saß ich hier im Wald, und jede dumme, peinliche, nebensächliche und unnötige Frage, die ich je über Helena Dickens gestellt hatte, war für sie von weltbewegender Bedeutung. Ich wusste, dass ich nicht ohne Grund so vom Suchen und Fragen besessen sein konnte. Und das Tollste war, dass es nicht nur einen einzigen Grund dafür gab, nein, neben mir am Lagerfeuer saßen noch vier weitere.
    Es war eine unglaubliche Erleichterung. Ein Gefühl, das ich eigentlich nicht mehr kannte, seit ich zehn Jahre alt war.
    Der Himmel wurde allmählich heller; die Baumwipfel, die tagsüber von der Sonne erhitzt worden und in der Nacht abgekühlt waren, zauberten nun ein kühles Blau an den Himmel. Die Vögel, die in den dunklen Stunden den Schnabel gehalten hatten, probierten jetzt ihre Stimmbänder, wie ein Orchester, das vor der Aufführung die Instrumente stimmt. Bernard, Derek, Marcus und Joan lagen warm zugedeckt in ihren Schlafsäcken und schliefen – wahrscheinlich ein ähnliches Bild wie in der Nacht des Campingausflugs. Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl passiert wäre, wenn sie damals nicht zum Rauchen in den Wald geschlichen wären, sondern tief und fest bis in den Morgen hinein geschlafen hätten. Ob sie dann jetzt wohl ganz normal im Schoß ihrer Familien leben würden? Oder hätten sie trotzdem das geheime Tor zu dieser Welt durchschritten?
    War es ein Unfall, der uns hierhergeführt hatte, waren wir in eine Leerstelle der Schöpfung gestolpert, hatte uns ein schwarzes Loch in der Erdoberfläche verschlungen? Oder war dies nur ein Teil des Lebens, über den jahrhundertelang nie jemand gesprochen hatte? Waren wir auf unerklärliche Weise verloren gegangen, oder gehörten wir wirklich hierher? War unser bisheriges Leben vielleicht der eigentliche Irrtum gewesen? War dies ein Ort, wo Menschen, die gemeinhin als Außenseiter galten, sich zugehörig fühlen und endlich entspannen konnten? Meine Fragen wurden nicht weniger.
    »Waren Sie glücklich?« Ich schaute zu den Schlafenden. »Waren Sie alle glücklich?«
    Mit einem leisen Lächeln antwortete Helena: »Wir haben uns alle schon oft die Frage nach dem Warum gestellt und keine Antwort gefunden. Ja, wir waren glücklich. Wir waren alle sehr, sehr glücklich mit unserem Leben. Und Sandy«, fuhr sie fort, während sie mich mit amüsiertem Gesicht betrachtete, als freute sie sich über einen Witz, den ich gar nicht mitgekriegt hatte, »ob Sie es glauben oder nicht – wir sind auch hier glücklich. Wir sind schon länger hier, als wir je irgendwo anders gewesen sind. Die Vergangenheit ist eine ferne, aber angenehme Erinnerung für uns.«
    Ich blickte mich am Lagerfeuer um. Diese

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