Vermiss mein nicht
Ehrlich.«
Abrupt hörte das Geraschel auf. »Ich finde Leute in dreißig bis vierzig Prozent der Fälle, aber Sie müssen wissen, dass nicht alle, die ich finde, zu ihren Familien zurückkehren. Darauf sollten Sie sich von Anfang an einstellen.«
»Ja, damit rechne ich. Aber wenn Donal irgendwo in einem Graben liegt, möchte ich ihn zurückhaben, damit er ein richtiges Begräbnis bekommt.«
»Das habe ich nicht gemeint. Manchmal verschwinden Menschen absichtlich.«
»So was würde Donal nicht tun«, erwiderte er im Brustton der Überzeugung.
»Vielleicht nicht. Aber es hat schon Fälle gegeben, in denen genausolche Menschen wie Donal, aus genausolchen Familien wie Ihrer sich absichtlich aus ihrem bisherigen Leben zurückziehen, ohne jemandem, der ihnen nahesteht, ein Wort davon zu sagen.«
Jack verdaute ihren Einwand, obwohl er ihn für nicht sehr fundiert hielt. »Würden Sie mir sagen, wo er ist, wenn Sie ihn finden?«
»Wenn er nicht gefunden werden wollte? Nein, das könnte ich nicht.«
»Würden Sie mir sagen,
dass
Sie ihn gefunden haben?«
»Das hängt davon ab, ob Sie bereit wären zu akzeptieren, dass Sie nicht wissen dürften, wo er ist.«
»Ich würde nur wissen wollen, ob er glücklich und gesund ist, ganz gleich, wo er sich aufhält.«
»Dann würde ich es Ihnen sagen.«
Nach einem weiteren langen Schweigen fragte Jack: »Haben Sie in Ihrem Beruf eigentlich viel zu tun? Ich könnte mir vorstellen, dass Leute eher zur Polizei gehen, wenn jemand verschwindet.«
»Das stimmt. Es gibt nicht viele Fälle wie den von Donal, aber es gibt immer etwas oder jemanden zu suchen. In bestimmten Kategorien von Vermissten kann und will die Polizei nicht ermitteln.«
»Zum Beispiel?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Ich möchte alles darüber wissen.« Jack sah zur Uhr. Halb drei, mitten in der Nacht. »Und außerdem habe ich um diese Zeit nichts Besseres vor.«
»Tja«, meinte sie, und er hörte, wie sie einen Schluck Kaffee trank. Er konnte ihn beinahe riechen, so vertraut fühlte er sich ihr in diesem nächtlichen Gespräch. »Manchmal finde ich Menschen, mit denen jemand einfach nur den Kontakt verloren hat, lange verschwundene Verwandte, alte Schulfreunde oder adoptierte Kinder, die ihre leiblichen Eltern suchen. Solche Sachen. Ich arbeite ziemlich oft mit der Heilsarmee zusammen. Dann gibt es noch die ernsteren Fälle, in denen Menschen aus eigenem Entschluss verschwunden sind und die Familie wissen möchte, wo sie geblieben sind.«
»Aber woher weiß die Polizei, dass diese Leute verschwinden
wollten
?«
»Manche hinterlassen einen Brief, dass sie nicht zurückkommen wollen«, antwortete sie, während sie den Geräuschen nach etwas auspackte. »Manchmal nehmen sie ihre Habseligkeiten mit, manchmal haben sie auch schon lange vorher darüber gesprochen, wie unzufrieden sie mit ihrem Leben sind.«
»Was essen Sie?«
»Einen Schokomuffin«, antwortete sie mit vollem Mund. Dann schluckte sie und fragte: »Entschuldigung, haben Sie mich jetzt überhaupt verstanden?«
»Ja, Sie essen einen Schokomuffin.«
»Nein, das hab ich nicht gemeint.« Sie lachte.
Auch Jack grinste. »Also kommen die Familien zu Ihnen, um nach den Menschen zu suchen, um die sich die Polizei nicht kümmern kann?«
»So ist es. Viel von meiner Arbeit besteht darin, nach Menschen zu forschen, die nicht als hochgefährdet eingestuft sind, oft mit Hilfe anderer Agenturen in ganz Irland. Wenn jemand freiwillig weggeht, wird er nicht als vermisst klassifiziert, aber das ändert natürlich nichts an den Sorgen seiner Angehörigen.«
»Diese Menschen werden also einfach so vergessen?«
»Nein, es wird schon ein Bericht angelegt, aber wie intensiv die Nachforschungen betrieben werden, bleibt dem einzelnen Polizeirevier überlassen.«
»Was ist zum Beispiel, wenn jemand, der mit seinem Leben total unglücklich war, die Koffer packt, um eine Weile allein zu sein, und dann verschwindet? Niemand würde nach ihm suchen, und das nur, weil die oder der Betreffende vorher ihre oder seine Unzufriedenheit geäußert hat?«
Sandy schwieg.
»Habe ich etwa unrecht? Würden Sie nicht auch wollen, dass man Sie findet, wenn Sie verschwunden wären?«
»Jack, ich kann mir nur eine einzige Sache vorstellen, die noch frustrierender ist, als jemanden nicht finden zu können, und das ist, nicht gefunden zu werden. Ich würde ganz bestimmt wollen, dass man mich findet. Mehr als alles auf der Welt«, sagte sie fest.
Sie dachten beide eine
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