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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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in Jacks Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Schon als Kind wollte er im Hafen arbeiten. Er liebte den Trubel der geschäftigen Docks, die monströsen Maschinen, die am Flussufer entlangstaksten wie Reiher auf langen stählernen Beinen, den Schnabel immer wachsam über dem Wasser gezückt.
    Schon als kleiner Junge hatte Jack sich mit dem Fluss verbunden gefühlt und sich für alles interessiert, was er auf seinem Rücken transportierte. Einmal hatte die Familie die Sommerferien in Leitrim verbracht, und diese Sommerferien waren Jack noch so lebendig im Gedächtnis wie keine anderen. Donal war noch nicht auf der Welt gewesen, und Jack noch keine zehn Jahre alt. In diesen Ferien hatte er gelernt, wo der große Fluss entsprang, wie er langsam und still das County Cavan durchquerte, ehe er Tempo zulegte, und wie er mit jedem bisschen Erde, das er auswusch, die Geheimnisse und den Geist der jeweiligen Gegend aufnahm. Jeder Nebenarm war wie eine Arterie, die das Herz des Landes zu ihm ausschickte und die ihre Geheimnisse gedämpft vor sich hin plapperte und schließlich in den Atlantik trug, wo sie mit den stillen Hoffnungen und dem Bedauern der ganzen Welt verloren gingen. Es war wie eine besondere Art stille Post, bei der man ganz leise beginnt, dann aber immer lauter wird, bis die Worte schließlich fast übertrieben wirken. So war es auch mit den frisch gestrichenen Holzbooten, die in Carrick-on-Shannon auf dem Wasser tanzten, bis zu den metallenen Frachtern neben den Kränen und Lagerhäusern und dem ganzen Trubel von Shannon Foynes Port.
    Ziellos schlenderte Jack am Shannon Estuary entlang, dankbar für die Ruhe und den Frieden. Immer weiter wanderte er, und Glin Castle verschwand hinter den Bäumen. Auf einmal sah er durch das Gebüsch auf einem ehemaligen Parkplatz, der jetzt verwildert war und eigentlich nur noch von Wanderern und Vogelbeobachtern betreten wurde, etwas Rotes leuchten. Der Kiesboden war uneben, die weißen Linien konnte man kaum noch erkennen, Unkraut wucherte in allen Ritzen. Mittendrin stand ein alter roter Fiesta, verbeult und verrostet, der Lack seit langem matt und glanzlos. Jack blieb stehen wie angewurzelt, denn er erkannte das Auto sofort als die Venusfliegenfalle, in der die langbeinige Schönheit von der Tankstelle gestern früh verschwunden war.
    Mit klopfendem Herzen schaute er sich nach ihr um, konnte aber nirgends eine Menschenseele entdecken. Auf dem Armaturenbrett des Autochens stand ein noch fast voller Styroporbecher mit Kaffee, auf dem Beifahrersitz stapelten sich Zeitungen, und daneben lag ein Handtuch, das seine sowieso schon überaktive Phantasie zu der Überzeugung kommen ließ, dass die Besitzerin irgendwo in der Nähe joggen musste. Schnell wich er ein paar Schritte zurück, denn er wollte nicht von ihr dabei erwischt werden, wie er durchs Autofenster schielte. Aber der Zufall, dass sie sich wieder in so einer gottverlassenen Gegend begegneten, machte ihn viel zu neugierig, er konnte nicht einfach das Weite suchen. Seiner Tankstellenbekanntschaft hallo zu sagen, wäre an diesem Tag, an dem so wenig klappte, eine willkommene Freude.
    Nach einer Dreiviertelstunde Warterei fing Jack an, sich zu langweilen, und kam sich zunehmend blöd vor. Das Auto sah aus, als stünde es schon seit Jahren in dieser gottverlassenen Gegend herum. Aber Jack wusste doch genau, dass es noch gestern Morgen gefahren worden war! Langsam näherte er sich ihm noch einmal und drückte mutig das Gesicht an die Scheibe.
    Fast wäre ihm das Herz stehengeblieben. Ein Schauer durchlief ihn, und er bekam eine dicke Gänsehaut.
    Neben dem Kaffeebecher und einem Handy, auf dem er rund fünfzig Anrufe in Abwesenheit blinken sah, lag auf dem Armaturenbrett eine dicke braune Akte, auf der in ordentlicher Schrift
Donal Ruttle
stand.

Sechzehn
    Ich klopfte mit dem Schuh gegen den Teller, auf dem die Schokokekse gelegen hatten, was ein lautes Klimpern verursachte und in der ganzen Lichtung widerhallte. Um mich herum lagen vier schlafende Menschen auf dem Waldboden, und Bernards Schnarchen schien mit jeder Minute lauter zu werden. Ich seufzte noch einmal laut und kam mir dabei vor wie ein dämlicher pubertärer Teenager, der seinen Willen nicht kriegt. Prompt sah Helena, mit der ich eine Stunde lang nicht gesprochen hatte, mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, um mir zu zeigen, dass sie nicht amüsiert war. Mir war sonnenklar, dass sie jede Sekunde meiner Qual von Herzen genoss. In den letzten sechzig Minuten

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