Vermiss mein nicht
ihren Sprachen, von denen ich einige nicht kannte. Ein Eintrag jedoch war angenehm vertraut –
Land: Irland. Sprachen: Irisch, Englisch
.
»Hallo Terence«, antwortete Helena unterdessen, offensichtlich froh, dass unser Gespräch ein natürliches Ende gefunden hatte.
Jetzt sah ich mich zum ersten Mal richtig um. Wir waren in einem riesigen Saal, umgeben von Schreibtischen, und hinter jedem davon saß eine Person einer anderen Nationalität. Vor den Tischen hatten sich Warteschlangen gebildet, es war ganz still, und man spürte die Anspannung der Menschen, die soeben eingetroffen waren und ihre Situation noch nicht vollständig begriffen hatten. Mit großen, ängstlichen Augen schauten sie sich um, die Arme um den Körper geschlungen, als versuchten sie sich selbst Trost und Geborgenheit zu geben.
Helena war zu Terence an den Schreibtisch getreten, und ich folgte ihr.
Er blickte auf. »Willkommen«, begrüßte auch er mich mit einem freundlichen Lächeln, und ich hörte das Mitgefühl in seiner Stimme und den Akzent, der seine irische Herkunft verriet.
»Sandy, das ist Terence O’Malley, Terence, das ist Sandy. Terence ist schon seit … Himmel, wie lange bist du jetzt schon hier?«, fragte Helena.
Elf Jahre, dachte ich. »Fast elf Jahre«, antwortete der ältere Mann mit einem Lächeln.
»Terence war früher …«
»… Bibliothekar in der Ballina Library«, fiel ich ihr ohne nachzudenken ins Wort. Auch nach zehn Jahren erkannte ich in ihm noch den vermissten alleinstehenden Bibliothekar, der auf dem Heimweg einfach verschwunden war.
Helena erstarrte, und auch Terence sah mich verwirrt an. »Ach ja, das hab ich dir ja schon erzählt, ehe wir reingekommen sind«, rief Helena schließlich. »Ich Dummerchen. Anscheinend werde ich allmählich alt und vergesslich«, setzte sie lachend hinzu.
»Das Gefühl kenne ich gut«, bestätigte Terence und schob seine heruntergerutschte Brille wieder hoch.
»Tja.« Terence wandte sich hilfesuchend an Helena, denn mein Blick machte ihn offensichtlich hibbelig. »Dann machen wir uns mal an die Arbeit. Wären Sie wohl so nett, Platz zu nehmen, Sandy? Dann erkläre ich Ihnen das Formular. Es ist eigentlich ganz einfach.«
Während ich mich setzte, betrachtete ich noch einmal die Menschen, die um mich herum Schlange standen. Rechts von mir half eine Frau einem kleinen Jungen, auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch zu klettern. »Permettimi di aiutarti a sederti e mi puoi raccontare tutto su come sei arrivato fin qui. Avresti voglia di un po’ di latte con biscotti?«
Er blickte sie mit seinen großen braunen Augen an wie ein verlorenes Hündchen und nickte, worauf sie einer Kollegin, die hinter dem Schreibtisch stand, einen Wink gab. Diese verschwand und kam kurz darauf mit einem Glas Milch und einem Teller Kekse zurück.
Zu meiner Linken trat jetzt ein völlig desorientiert wirkender Mann an die Spitze der Warteschlange. Der Mann am Schreibtisch, dessen Namensschildchen ihn als
Martin
zu erkennen gab, lächelte ihn ermutigend an und sagte auf Deutsch: »Nehmen Sie doch Platz, bitte, dann helfe ich Ihnen mit den Formularen.«
»Sandy!«, riefen Terence und Helena wie aus einem Mund. Anscheinend versuchten sie schon eine Weile, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Mit einem Ruck erwachte ich aus meiner Trance. »Was? O ja, tut mir leid!«
»Terence hat gefragt, wo du herkommst.«
»Leitrim.«
»Haben Sie dort gelebt?«, fragte Terence weiter.
»Nein. In Dublin.« Ich sah mich um. Noch mehr benommen wirkende Menschen wurden hereingeführt.
»Dann sind Sie also in Dublin verschwunden?«, hakte Terence nach.
»Nein, in Limerick«, antwortete ich mit leiser Stimme, während die Gedanken in meinem Kopf immer lauter wurden.
»… kennen Sie Jim Gannon … aus Leitrim?«
»Ja«, antwortete ich, beobachtete aber eine junge Afrikanerin, die ihr ockergelbes Tuch enger um sich zog und sich voller Angst in der fremden Umgebung umschaute. Sie war reich mit Kupferarmreifen, gewebten Bastbändern und Perlen geschmückt. Als unsere Blicke sich trafen, sah sie schnell weg, und ich redete weiter mit Terence, als wäre ich gar nicht wirklich da. »Jim gehört der Eisenwarenladen. Bei seinem Sohn hatte ich Erdkunde.«
Terence lachte und stellte erfreut fest, wie klein die Welt war.
»Na ja, die Welt ist viel größer, als ich gedacht habe«, antwortete ich, und meine Stimme klang, als käme sie aus weiter Ferne.
Während Terence das Formular mit mir durchging, sah ich in
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