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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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allemal wert.« Sie gab ihm die Adresse. »Wenn Sie wollen, können Sie heute hier übernachten. Es ist viel zu spät, um noch nach Leitrim oder zurück nach Limerick zu fahren.«
    »Danke für das Angebot. Vielleicht bleibe ich dann morgen sogar noch ein bisschen länger in Dublin, um zu sehen, ob Sandy zu dem nächsten Termin auftaucht, den sie vereinbart hat.« Lächelnd betrachtete Jack ein Foto, auf dem Bobby als Dinosaurier zu sehen war. Wahrscheinlich eine Halloween-Verkleidung. »Wird es leichter mit der Zeit?«
    Mary seufzte. »Nicht wirklich leichter, aber vielleicht ein bisschen weniger schwer. Es ist mir immer bewusst, egal ob ich schlafe oder wache. Die Wunde beginnt zu … na ja, nicht wirklich zu verheilen, aber der Schmerz verändert sich irgendwie, und dann treten neue Gefühle an seine Stelle. Beispielsweise Wut oder Einsamkeit oder Sehnsucht oder manchmal sogar Freude. Jedes verlorene Gefühl wird durch ein anderes ersetzt – was bei verlorenen Söhnen leider nicht der Fall ist.« Sie lächelte wehmütig. »Ich hatte immer was übrig für die Geheimnisse des Lebens, es hat mir gefallen, dass immer ein Rest Unsicherheit bleibt, dass wir nicht alles wissen. Ich war immer der Meinung, das gehört zu unserer Reise.« Wieder ein trauriges Lächeln. »Aber inzwischen hält sich meine Begeisterung in Grenzen.«
    Jack nickte, und eine Weile schwiegen sie nachdenklich.
    »Auf alle Fälle ist es nicht nur Kummer und Schmerz«, brach Mary schließlich das Schweigen und versuchte, etwas munterer zu klingen. »Hoffentlich macht Sandy es wie immer und kommt morgen früh nach Hause.«
    »Mit Bobby und Donal im Schlepptau«, fügte Jack hinzu.
    »Komisch, dass Sie das sagen«, entgegnete Mary mit einem seltsamen Lächeln. »Genau davon hab ich nämlich letzte Nacht geträumt.«
    »Ich auch«, lachte Jack leise.
    »Tja, dann auf die Hoffnung!« Mary hob ihren Kaffeebecher, und sie stießen miteinander an.

Siebenunddreißig
    Jack übernachtete in Bobbys winzigem Schlafzimmer, umgeben von Postern, auf denen Sportwagen und halbnackte Blondinen prangten. An der Decke klebten kleine Sterne und Raumschiffe, die einst bei Nacht geleuchtet hatten, jetzt aber nur noch einen schwachen Glanz verbreiteten. Auf der Tür und der verschossenen Tapete pappten halb abgepulte Aufkleber – He-Man ohne Schwert, Bobby Duke ohne Cowboyhut, Darth Vader ohne Helm –, und auf dem dunkelblauen Bettzeug konnte man das gesamte Sonnensystem mit allen Planeten bewundern. Nur der Ort, an dem Bobby sich aufhielt, fehlte.
    Auf dem Schreibtisch stapelten sich CD s, ein CD -Player, Lautsprecher und Zeitschriften mit weiteren Autos und noch mehr hübschen Frauen. In einer Ecke lagen ein paar Schulbücher; ihrem Aufenthaltsort nach zu urteilen, besaßen sie eher geringe Bedeutung, während auch die Regale von CD s, DVD s, Zeitschriften und Fußballpokalen überquollen. Vermutlich war hier seit dem Tag, an dem Bobby das Zimmer verlassen hatte, nichts verändert worden, und Jack fasste so wenig wie möglich an und ging auf Zehenspitzen umher, denn er wollte keine Spuren hinterlassen. Der Raum erinnerte stark an ein Museum.
    Unter den Postern von den Autos und Glamourfrauen lugte eine Tapete mit Motiven von
Thomas and the Tank Engine
hervor, ein Überbleibsel aus Bobbys Kindertagen, nur notdürftig von der Pubertät und ihren Symbolen überdeckt. Das Zimmer hatte einem Menschen gehört, der kein kleiner Junge mehr war, aber auch noch kein Mann, hin und her gerissen zwischen Unschuld und Erkenntnis, im Aufbruch zu neuen Entdeckungen.
    Schon vorhin hatte Jack ein ähnliches Gefühl gehabt. Er fühlte sich wie gefangen, steckengeblieben in einer Zeit, die nicht weiter voranschreiten durfte. Die Tür mit dem Schild »Bobbys Zimmer – ZUTRITT VERBOTEN !« hatte die Warnung verstanden, sich allen Veränderungen verschlossen und die Dinge hier drin bewacht wie in einer Schatzkammer. Jack fragte sich, ob Bobby jetzt wohl irgendwo sein Leben lebte und sich längst himmelweit von dem Bild entfernt hatte, das Mary von ihm konservierte. Oder ob seine Reise zu Ende gegangen war. Würde er für immer als jemand weiterexistieren, der kein Junge mehr und noch kein Mann war, eine Zwischenperson in einem Zwischenreich, unvollständig, unausgegoren, auf ewig ein Halbwüchsiger?
    Er dachte über sich selbst nach, über seine Weigerung, Donal loszulassen, über das, was Dr. Burton ihm gesagt hatte – dass die Suche nach seinem Bruder in einer Sackgasse gelandet

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