Vermisst: Thriller (German Edition)
Niebuhr LLP.
Crescendo Ltd. Siebzehnter Stock.
Die Aufzugtüren öffneten sich auf eine Lobby mit dezenter Beleuchtung und einem glänzenden Parkettboden. Ich warf einen zweiten Blick auf die Stockwerksnummer. Siebzehn. So hatte ich mir eine Privatbank nicht vorgestellt.
Das lag vermutlich daran, dass es keine Bank war. Hinter der Rosenholztheke saß eine einsame Rezeptionistin mit Kopfhörermikrofon. Sie war um die fünfzig, trug ein langes Leinenkleid und einen türkisfarbenen Turban im afrikanischen Stil. Im Gegensatz zu den Empfangsdamen vieler anderer Firmen in Los Angeles kaute sie weder Kaugummi noch feilte sie sich die Nägel. Und sie drückte mir auch kein Demotape in die Hand, weil sie hoffte, eine Plattenproduzentin vor sich zu haben.
Im Hintergrund lief Gospelmusik. Ruf und Antwort, ein vierstimmiger Satz von »Go down, Moses« oder etwas Ähnlichem, dazu eine Funk-Band. Eine Rechtsanwaltskanzlei war das demnach genauso wenig.
Die Rezeptionistin betrachtete mit höflichem Interesse mein zerknittertes T-Shirt und die abgetragenen Turnschuhe. Ich fühlte mich wie im Büro einer Kirchengemeinde.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ich ging zur Theke und legte ihr meinen roten Schlüssel vor. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Hoffentlich verlangte sie keine Unterschrift. In dem Dossier befanden sich mehrere Dokumente mit Jax’ krakeliger Unterschrift, aber die würde mir wohl kaum gelingen. Außer ich tat so, als hätte ich mir die Hand gebrochen oder litte unter nervösem Zittern.
Falls mich die Ehrfurcht einflößende Pfarrsekretärin nach einem Ausweis fragte oder Jax das Schließfach unter falschem Namen gemietet hatte, war das Spiel ohnehin aus.
Sie nahm jetzt den Schlüssel, las die eingravierte Nummer und griff zum Telefon. »Hier ist eine Dame mit einem Schlüssel. Drei siebenundfünfzig. Überprüfst du das bitte?« Sie sah auf. »Einen Augenblick, bitte.«
Ihr Gesicht blieb freundlich. Offenbar schien es sie nicht zu stören, dass meine Schmuddelklamotten ihre elegante Lobby verunstalteten. Trotzdem fühlte ich mich fehl am Platz. Die Frau war Afroamerikanerin wie Jax, und im Hintergrund lief Gospelmusik. Da passte ich nicht recht ins Bild.
Ihr erwartungsvoller Blick erinnerte mich daran, dass ich bisher kein Wort gesprochen hatte. Ich wollte nicht noch auffälliger wirken, als ohnehin schon. Ja, Officer, die Frau war hier. Eine unvorteilhaft gekleidete Weiße mit einem verdächtigen Zucken der Schreibhand. Vollkommen stumm.
»Tolle Musik«, sagte ich daher so beiläufig wie möglich. »Was ist das?«
»Sounds of Blackness.«
»Ach so.« Ich lächelte und kam mir vor wie ein Volltrottel. Wieso dauerte das so lang?
»In Ordnung, ich richte es aus«, sagte sie in ihr Mikrofon. Dann nickte sie mir zu. »Das Fach ist im Tresorraum, nicht im Archiv. Kani bringt sie hin.«
Tresorraum? Im siebzehnten Stock? »Danke.«
Einen Augenblick später öffnete eine junge Frau ostasiatischer Herkunft eine Milchglastür am anderen Ende des Raumes. Sie war winzig, hatte sich ein Bandana als Top um die Brust gewunden und trug eine knallenge Hüfthose, die sie vermutlich in der Kinderabteilung erstanden hatte. Das Haar war stachlig nach oben gegelt, und ihre Füße steckten in Glitzer-Flipflops. Auf ihrer Nase saß eine Hornbrille. Mich erinnerte sie an eine zum Leben erwachte Anime-Figur.
Sie stellte sich als Kani vor und klemmte sich einen Bleistift hinter das Ohr. »Folgen Sie mir bitte.«
Ich bedankte mich bei der Rezeptionistin und eilte Kani durch die Glastür hinterher.
Statt Gospelmusik empfing uns hier der Soundtrack zu Matrix. Tatsächlich befanden wir uns in einem Musikarchiv. Auf raumhohen Metallregalen, die in engen Reihen lotrecht zu den Fenstern angeordnet waren, stapelten sich Tonbänder auf Spulen, die mit dem Namen der Künstler, dem Titel des Albums und dem Datum der Aufnahme gekennzeichnet waren. Um uns herum wuselten noch mehr eifrige Manga-Gestalten mit Piercings und bunten Tätowierungen. Manche trugen Kopfhörer und hockten an Aufnahmekonsolen, andere arbeiteten an Computern mit Cinema-Bildschirmen. Was diese emsigen Bienen trieben, war mir allerdings nicht klar.
»Ich hätte eine Frage zu Ihrem Aufbewahrungsverfahren«, sagte ich mit einer ausholenden Geste, die den gesamten Raum umfasste.
Die Manga-Barbie folgte meinem Blick. »Wegen der Fenster?«
»Zum Beispiel.«
»Gehärtetes, polarisiertes Glas, zum Schutz der Bänder UV-absorbierend. Die Originalaufnahmen
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