Vermisst: Thriller (German Edition)
werden hier natürlich nur vorübergehend gelagert, bis wir sie auf digitalen Medien gesichert haben.«
»Verstehe.« Offenbar wartete sie auf meine Billigung, aber so leicht war ich nicht zu haben. »Was ist mit Wärme und Korrosion?«
»Der Raum ist rund um die Uhr klimatisiert, und die Behälter sind acetonfrei.«
»Gut.« Ich zeigte keine Regung. »Mir geht es eher um die Sicherheitsmaßnahmen.«
»Oh.« Sie kratzte sich verwirrt am Kopf. »Diebstahl ist für uns kein Problem, wenn Sie das meinen. Wir arbeiten in erster Linie an der Konservierung oder Neubearbeitung alter Aufnahmen, bei denen das Urheberrecht meistens schon abgelaufen ist. Bei Compilations oder Sprachaufnahmen gibt es eigentlich keine Piraterie. Für besonders empfindliche oder seltene Exemplare wie Live-Auftritte großer Jazzkünstler haben wir den Tresorraum.«
»Natürlich.«
Vermutlich wurden hier Objekte aufbewahrt, für die kapitalkräftige Museen oder Investoren eine Menge Geld zahlen würden. Deswegen residierte die Firma auch in diesem Luxus-Wolkenkratzer und nicht in einem Lagerhaus draußen in der Pampa.
»Und Sie haben keine Angst, dass irgendwer mit dem Presslufthammer ein Loch in die Decke Ihres Tresorraums bohrt?«
»Bei uns gibt es weder Bargeld noch Gold. Der Tresorraum ist feuer-, überschwemmungs- und erdbebensicher.« Sie warf mir einen skeptischen Blick zu. »Hat man Ihnen das nicht erklärt, als Sie Ihr Fach gemietet haben?«
»Eine Führung habe ich nicht bekommen.« Ich behielt meine misstrauische Miene bei. Nur keine Schwäche zeigen. »Bei kontroversen Objekten will man eben nicht, dass sie in die falschen Hände gelangen.«
»Kontrovers?«
»Strittig. Solche Dinge bewahren Sie hier doch auf, wenn ich mich nicht irre.«
»Sie meinen unseren Treuhandservice?«
»Mir hat man gesagt, Sie würden Gegenstände lagern, bei denen die Eigentumsrechte nicht geklärt sind, wie zum Beispiel bei Erbstreitigkeiten.«
»Das stimmt. Oder eventuelle Beweismittel für Gerichtsverfahren. Deswegen legen wir auch großen Wert auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften.«
»Klingt gut.«
Vor dem Tresorraum angelangt, baute sich mein Manga-Püppchen zwischen mir und der Tür auf. »Normalerweise vermieten wir unsere Tresorschließfächer an Rechtsanwaltskanzleien und Auktionshäuser. Darf ich fragen, wieso Sie nichts über Crescendo wissen, wenn das Ihr Schlüssel ist?« So viel zu meiner Überzeugungskraft. Für einen zweiten Bluff blieb mir keine Zeit.
»Weil es nicht mein Schlüssel ist.«
Die Augenbrauen hinter der Hornbrille schossen in die Höhe. »Wie bitte?«
»Das Fach gehört einer Freundin, die mich hergeschickt hat.«
»Das entspricht nicht den Vorschriften. Wieso ist Ihre Freundin nicht dabei?«
»Ich verstehe, dass Sie vorsichtig sein müssen, aber ich nehme doch an, dass Crescendo seinen Kunden Diskretion garantiert. Und Schutz der Privatsphäre.«
Sie lief rot an, starrte einen Augenblick auf den Boden und öffnete dann die Tür.
Die Wände des Tresorraums waren mit Schließfächern bedeckt. Ich gab ihr den Schlüssel. Sie schloss Fach dreihundertsiebenundfünfzig auf, holte eine Kassette von der Größe eines Aktenordners heraus und reichte sie mir. Ich stellte die Box auf dem Tisch in der Ecke des Raumes ab.
»Rufen Sie, wenn Sie fertig sind.« Damit verließ sie den Raum.
Mit schweißnassen Händen setzte ich mich an den Tisch und öffnete die Kassette.
9. Kapitel
Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Draußen im Musikarchiv wartete die Manga-Barbie und trank einen Starbucks-Kaffee. Die Musikanlage dudelte Give it Away. Und vor mir lag ein dicker Umschlag, der hoffentlich für meinen Vater das Ticket in die Freiheit enthielt.
Ich riss den Umschlag auf. Darin war ein dickes Taschenbuch.
Verblüfft starrte ich auf die steinerne Friedhofsstatue auf dem Cover. Hatte Jax sich einen Scherz erlaubt?
Mitternacht im Garten von Gut und Böse.
Das Buch war voller Eselsohren, der Rücken rissig, und der Einband wurde nur durch dicke Gummibänder zusammengehalten. Ich lugte in den Umschlag. Das war alles.
Also löste ich die Gummibänder. Titelseite, Inhaltsverzeichnis: Mit unbekanntem Ziel, Schusswechsel, Und die Engel singen.. . Keine Randnotiz, keine Anmerkung, keine unterstrichenen Buchstaben. Falls sich in dem vierhundert Seiten starken Südstaatenepos irgendein Code verbarg, hatte ich ein Problem. Jax mit ihrem Abschluss in Linguistik verstand sich vermutlich besser als ich auf
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