Vermisst: Thriller (German Edition)
Ihrem Bruder zu tun?«
Jesse hatte sich wieder gefasst und schwieg.
»Sieht so aus, als hätte er sich auf einen Handel eingelassen und deswegen nur in einem County-Gefängnis gesessen. Hat ihm eine lange Gefängnisstrafe erspart. Haben Sie das vielleicht organisiert?« Seine Stimme wurde ganz sanft. »Ich frage mich, ob das nicht ein Fall für die Bundesbehörden gewesen wäre.«
Jesse bemühte sich, ruhig zu klingen. »Lassen Sie meinen Bruder aus dem Spiel!«
»Aber wer spricht denn von Ihrem Bruder? Sie sind wohl ein wenig paranoid.«
Jesse starrte auf das Telefon. »Wenn Sie ihm auch nur ein Härchen krümmen, kriegen Sie es mit mir zu tun.«
Ein langes unheilvolles Schweigen füllte den Raum. Als Gray sich wieder meldete, schien er sehr mit sich zufrieden.
»Hören Sie das, Blackburn? Das ist die Toilettenspülung, mit der ich gerade Ihre Karriere entsorgt habe.«
8. Kapitel
Ich hielt das Handy ans Ohr. »Lavonne, ich lebe noch, bin unverletzt und hatte nichts mit der Schießerei zu tun.«
»Wo bist du?«
»Da, wo mich keiner findet.« Die Antwort würde ihr nicht gefallen, aber ich hatte keine Lust, mich von ihr einschüchtern zu lassen. »Bitte gib mir Jesse.«
Die Autos auf dem Santa Monica Boulevard röhrten protzig vorbei. In der Ferne erhoben sich im Smog die grünen Hügel von Hollywood. Vor uns spiegelte sich die Sonne des späten Nachmittags in den Wolkenkratzern von Century City. Mir wurde geradezu übel vor Anspannung, während ich sehnsüchtig auf Jesses Stimme wartete. Endlich meldete er sich.
»Evan? Um Himmels willen …«
»Ich bin gesund und munter. Jesse, hör mir einen Augenblick zu.«
»Was hat North dir angetan?«
»Dreißig Sekunden, Blackburn. Sei still und lass mich reden.«
Er verstummte. Ich hatte das Telefon zwischen Kopf und Schulter geklemmt und brachte Jesse auf den letzten Stand, während ich mit der einen Hand lenkte und mit der anderen Davies’ Handy einschaltete.
»Ich schicke dir ein Foto.« Es war die Aufnahme von meinem Vater.
»Weißt du, wer der Tote war? Du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten.«
»Ich weiß, dass …«
»Deine dreißig Sekunden sind vorbei. In Kürze wirst du sämtliche Polizeibehörden von Kalifornien am Hals haben. Du musst dich stellen.«
»Noch nicht.«
»Doch, und zwar sofort. Du …« Seine Stimme erstarb. »Ach du Scheiße!«
»Hast du das Foto gekriegt?«
»Herr im Himmel! Evan, das tut mir wirklich leid.«
»Jesse, noch habe ich eine Chance, meinen Vater zu retten. Wenn ich verhaftet werde, ist es damit vorbei.«
Hinter dem Smogdunst schimmerte der Himmel blau. Die Windschutzscheiben der entgegenkommenden Fahrzeuge reflektierten das Sonnenlicht. Auf der Gegenfahrbahn passierte uns ein Polizeifahrzeug. Im Außenspiegel sah ich die Bremslichter aufleuchten.
»Evan, hör mir gut zu. Dein Vater hat mich letzte Nacht angerufen.«
Ich schleuderte fast gegen das Auto neben mir. »Was?«
»Direkt, bevor sie ihn erwischt haben. Er hat mir auf Band gesprochen, ich soll dich unbedingt aus der Sache raushalten.«
Krampfhaft umklammerte ich das Lenkrad. In seinen letzten Augenblicken in Freiheit hatte mein Vater nur daran gedacht, mich zu schützen. »Wenn ich mich raushalte, hat er keine Chance.«
»Hast du das Dossier von Tim und Jax?«, fragte Jesse.
»Ja.«
»Du musst umkehren und mir die Unterlagen bringen. Sofort.«
»Das Dossier?« Im Spiegel bemerkte ich, wie der Streifenwagen wendete und sich vier Autos hinter mir in den Verkehr einreihte. »Mein Vater will, dass ich es ausgerechnet dir gebe?«
»Ich soll es vernichten.«
»Was? Wieso?«
Das Polizeifahrzeug folgte uns, ohne den Abstand zu verringern. Jesse antwortete nicht.
»Falls mein Vater fürchtet, dass geheimes Material an die Öffentlichkeit gelangt …« Ich warf einen Seitenblick auf Tim. Der hatte bestimmt nicht vor, die Unterlagen einfach so herauszurücken. Sofern er bis dahin noch einen Tropfen Blut in den Adern hatte, würde er die Kidnapper töten. »Ich glaube nicht, dass das passieren wird.«
»Darum geht es nicht. Dein Vater hat erklärt, wenn ich das Material nicht vernichte, geratet ihr ins Fadenkreuz. Wenn die Sangers diese Informationen in die Finger bekommen, ist deine Familie dran.«
»Das sind wir doch sowieso. Dad, jetzt ich – der Nächste wird Luke sein.« Bei dem Gedanken daran, dass jemand meinem kleinen Neffen etwas antun könnte, wurde mir schwer ums Herz. »Das alles kann ich nur verhindern, wenn ich Dads
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