Vermisst: Thriller (German Edition)
sich schuldig fühlen. Um ein Haar wäre das auch gelungen.
»Es muss ja nichts Tolles sein«, meinte PJ. »Ich kann Kaffee kochen, die Post austragen, Kurierdienste zum Gericht übernehmen, was weiß ich. Aber ich will wieder auf die Füße kommen.«
Jesse rieb sich über das Gesicht.
»Oder Teilzeit. Was auch immer. Komm schon, Bruder. Ich geb mir echt Mühe.«
Kurierdienste. Verträge, vertrauliche Korrespondenz zwischen Anwälten und ihren Mandanten.
Plötzlich ließ PJ den Stift fallen und marschierte zur Tür. »Vergiss es. Ich will dich nicht unter Druck setzen.«
»Warte.« Jesse packte ihn am Arm. »Hör mal, im Moment passt es gerade nicht so gut.«
PJ wurde unter seinem Griff spürbar nervös. Jesse ließ ihn los.
»Gib mir ein bisschen Zeit. Ich muss nur ein paar Dinge klären.«
PJ warf ihm einen Blick zu, der so voller Misstrauen war, dass Jesse der Atem stockte. Hatte er das im Gefängnis gelernt?
Doch sein Bruder erholte sich schnell. »Ehrlich?«
»Versprechen kann ich dir nichts.«
»Ist doch klar. Morgen?«
»Nein, so schnell geht das nicht.«
»Vielleicht könnte ich eure Mandanten für die Verhandlung vorbereiten. Ich könnte Jury spielen und euch sagen, wie eine Befragung auf die Geschworenen wirkt.«
Jesse trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
»Was ist denn?«, fragte PJ.
Es klopfte, und die Tür flog auf. Lavonne deutete mit dem Daumen über ihre Schulter.
»In mein Büro. Sofort.«
Als Jesse sich zu seinem Bruder umdrehte, war sie schon wieder weg. »Tut mir leid.«
»Nein, ich sehe, du bist beschäftigt. Und …« Er starrte auf den Boden. »Danke«, brachte er schließlich heraus.
Lavonne ging hinter ihrem Schreibtisch auf und ab. Ihre finstere Miene verhieß nichts Gutes. Sie bedeutete ihm, die Tür zuzumachen. »Jesse Blackburn schließt sich unserer Besprechung an, Mr. Gray.«
Jesse beherrschte sich nur mühsam, als Grays Stimme durch den Raum schallte.
»Von Zufall kann ja wohl keine Rede mehr sein. Ich bin entsetzt!«
»Sie haben völlig recht«, sagte Jesse bemüht gelassen. »Evan Delaney ist in Gefahr. Ohne die Unterstützung der Polizei ist ihre Sicherheit gefährdet.«
»Ach, sparen Sie sich die Altweibergeschichten, Blackburn. Ein Bundesagent wurde auf offener Straße erschossen, und ihre Freundin ist in die Sache verwickelt.«
Lavonne kritzelte etwas auf einen Block und hielt es Jesse unter die Nase. Tornado nennst du das? Du musst ja total blind sein.
»Phil Delaney ist auf der Flucht, und nun hat sich seine Tochter ebenfalls abgesetzt«, behauptete Gray. »Und Sanchez Marks ist immer mitten drin.«
Jesse spürte Lavonnes durchbohrenden Blick. Er griff seinerseits nach dem Block. Phil D. – kein Unfall. Ein Hinterhalt.
Lavonne starrte auf das Papier. »Woher weißt du das?«
»Wie bitte?«, fragte Gray.
»Nichts.« Sie stach mit dem Finger nach dem Block.
Polizei noch nicht einweihen, schrieb Jesse.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«, fragte Gray. »Ich hab keine Zeit für Ihre Spielchen. Liefern Sie mir Phil Delaney.«
»Das können wir nicht«, erwiderte Jesse kühl. »Wir wissen nicht, wo er ist, und haben keinerlei Kontakt mit ihm.«
»Ach, tatsächlich?«, gab Gray zurück. »Wir haben uns die Anruflisten für Delaneys Handy besorgt. Er hat letzte Nacht um 21.45 Uhr bei Ihnen angerufen.«
Lavonne drehte sich ganz langsam zu Jesse um.
Es klopfte, und eine Sekretärin trat herein. »Evan Delaney auf Leitung zwei.«
Jesse fuhr hoch, während Lavonne zum Telefon stürzte.
»Wie bitte?«, fragte Gray scharf. »Was war das?«
Lavonne drückte ein paar Tasten. »Einen Augenblick!«, sagte sie dann ins Telefon und lief nach draußen, um den Anruf am Apparat der Sekretärin anzunehmen.
»Also habe ich doch richtig gehört«, stellte Gray fest.
Jesse starrte auf die Tür, die Lavonne hinter sich geschlossen hatte. »Ich rufe Sie später zurück, Mr. Gray.«
»So leicht werden Sie mich nicht los. Ich habe nicht eine Sekunde lang geglaubt, dass ihr die Flucht ganz allein gelungen ist. Sie wissen, wo Evan Delaney und ihr Vater stecken.«
»Sparen Sie sich Ihre Verschwörungstheorien. Sie liegen vollkommen daneben.«
»Vollkommen daneben? Sie sind doch selber mal Opfer eines Verbrechens geworden. Da sollten Sie froh sein, dass Männer wie Boyd Davies über unsere Sicherheit wachen.«
»Das reicht, Gray.«
»Und trotzdem wollen Sie diesen Killer entwischen lassen. Sie pfeifen auf die Hüter des Gesetzes, was? Hat das etwa irgendwas mit
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