Vermisst: Thriller (German Edition)
scheinen die eingehenden Anrufe alle aus L.A. und Santa Barbara zu kommen. Keine Nummern irgendwelcher Bundesbehörden. Keine Anrufe von der Polizei, keine aus Washington D.C. Die unter »Büro« gespeicherte Nummer schaltet direkt zu einer Mailbox. Da ist irgendwas faul.
Ich hängte die Daten aus Boyd Davies’ Handy an meine Nachricht an. Dann las ich sie noch einmal durch. Ich wusste, dass ich Jesse verärgert hatte. Wenn er erfuhr, was ich vorhatte, würde er ausrasten. Das konnte ich im Augenblick nicht gebrauchen. Deshalb rief ich auch nicht an, obwohl ich mir ein neues Handy gekauft hatte. Gleichzeitig wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihn an meiner Seite zu haben.
Erst in diesem Augenblick wurde mir bewusst, auf was ich mich da einließ. Mutterseelenallein hockte ich in dem riesigen Terminal mit einer Bordkarte in der Hand, die mich in ein fünfzehntausend Kilometer entferntes Land führen sollte.
Schatz, ich muss mir die Informationen besorgen, die ich brauche, und ich weiß, wo ich sie finden kann. Bitte vertrau mir. Ich liebe dich. Bete für mich.
An der Bar wurde gerade angestoßen. Ich schickte die Nachricht ab und rieb mir die Schläfen. 25:09:17, sagte die Uhr auf dem Monitor.
Im Fernsehen liefen Nachrichten. Als ich aufschaute, bewahrheiteten sich meine schlimmsten Befürchtungen.
Wie erstarrt lauschte ich dem Bericht über den Tod von Boyd Davies, sah die Bilder vom Tatort. Streifenwagen, ein Krankenwagen, Polizeibeamte und Jesses Klassenkamerad Drew Farelli, der Schoßhund des Staatsanwalts.
Ein Mann und eine Frau wurden gesucht – weil man sie befragen wollte.
Mein Name wurde nicht erwähnt, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis im Fernsehen, auf Steckbriefen und in den Computern der Fluggesellschaften nach mir gefahndet wurde.
Der Barkeeper wischte die Theke ab. Ein paar Gäste an der Bar warfen beiläufige Blicke zum Fernseher. Ich sammelte meine Sachen ein, hängte mir den Rucksack über die Schulter und schlenderte zum Gate.
Fünfundvierzig Minuten später erhob sich meine Maschine mit dröhnenden Triebwerken in den Himmel. Die Lichter der Küste glitten unter uns hinweg. Wir gewannen über dem dunklen Ozean an Höhe und nahmen in einer Nordwestkurve Kurs auf Asien. Doch während das Flugzeug stieg, hatte ich das Gefühl, in die Tiefe zu stürzen, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Vielleicht sah ich meinen Vater nie wieder.
12. Kapitel
Dienstag
Salz und Eisen. Die Schreie der Möwen. Der Geruch von Rost.
Phil tauchte nur mühsam aus seiner Bewusstlosigkeit auf. Unter seinem Rücken spürte er kaltes Metall. Ein Ächzen im Wind, ein Schaukeln. Er war auf dem Wasser.
Um ihn herum herrschte Dunkelheit. Obwohl er die Augen geöffnet hatte, konnte er nichts erkennen. Eine Gehirnerschütterung oder ein starkes Beruhigungsmittel mussten ihn außer Gefecht gesetzt haben. Er atmete tief durch und blinzelte. Nach und nach machte er einzelne Umrisse aus. Das Schiff schwankte.
Nein, nicht das Schiff. Er selbst. Ihm drehte sich der Kopf. Eines seiner Augen war von den Schlägen zugeschwollen, und an seinem Kopf fühlte er verkrustetes Blut. Jede einzelne Faser in seinem Körper schmerzte. Mit neunundfünfzig war man ohnehin nicht mehr in Topform, und die Prügel hatten ihr Übriges getan. Vorsichtig tastete er nach seinem Knie.
Die leichte Berührung genügte, um ihn vor Schmerzen aufschreien zu lassen.
Die Dunkelheit schien den Klang seiner Stimme zu verschlucken. Er lag ganz still, bis der Schmerz nachließ. Wieder hörte er das metallische Knarren. Salzluft, aber keine Wasserströmung. Kein Motorengeräusch.
Wo war er?
Er stemmte die Hände gegen das raue Eisen unter sich und setzte sich auf. Das Metall brauchte dringend einen neuen Anstrich, es stand kurz vor dem Durchrosten. Das Schiff konnte kaum noch seetüchtig sein. Als er vorsichtig den Kopf wandte, entdeckte er einen vertikalen Lichtstreifen, nicht breiter als ein Faden.
Befand er sich im Laderaum eines Schiffes? Dann hätte er aber das Glucksen des Wassers und Motorengeräusche hören müssen, das tiefe Grollen von Dieseltriebwerken. Lagen sie vor Anker?
Seine Jeans spannte über dem Knie. Als er die Hand über die Kniescheibe hielt, spürte er die pulsierende Hitze, die von ihr ausging. Noch einmal berührte er für den Bruchteil einer Sekunde die Stelle. Sein Knie fühlte sich an wie ein faulender Kürbis. Damit würde er nicht weit kommen.
Er drückte den Knopf an
Weitere Kostenlose Bücher