Verneig dich vor dem Tod
Tür. »Was ist das?«
Er wandte sich um und hielt ihr die Tasche so hin, daß sie sie in dem schwachen Licht sehen konnte. Unter dem symbolischen Muster war mit einer glühenden Nadel oder einem ähnlichen spitzen Gegenstand ein Name in das Leder eingebrannt. Er lautete »Botulf«.
»Sie ist leer«, sagte Fidelma, die rasch hineingeschaut hatte. »Was tut die Tasche deines Freundes hier?«
Eadulf hatte sich inzwischen die Fundstelle genauer angesehen. Dort gab es dunkle Flecken. Er verfolgte ein paar Spritzer bis zu Stufen, die aufwärts führten und an einer alten Holztür endeten, die von innen verriegelt war.
Fidelma hatte die Flecken erkannt.
»Blut. Ich vermute, dein Freund Botulf könnte hier sein Ende gefunden haben?« meinte sie leise.
Eadulf erschauerte, aber nicht vor Kälte. Er merkte, daß sie wieder hustete.
»Ich wette, die Tür führt durch die Krypta zu dem kleinen Hof an der Kapelle. Dort hat man den Leichnam des armen Botulf entdeckt. Das hier behalte ich«, sagte er und steckte die Tasche in seinen
sacculus.
»Gehen wir lieber weiter. Wir können später darüber nachdenken.«
Der Gang schien endlos, und Eadulf kam zu dem bedrückenden Schluß, daß er sich in den Anweisungen geirrt hatte. Vielleicht sollte es doch zweimal links und einmal rechts heißen? Er wollte schon vorschlagen, sie sollten umkehren, da sah er vorn Licht.
Es war das Ende des Tunnels. Der Ausgang war von Pflanzen verdeckt, deren Ranken wie ein Vorhang darüber hingen. Eadulf schob sie mühsam auseinander und hielt sie fest, damit sich Fidelma hindurchzwängen konnte. Hier war offensichtlich seit längerer Zeit niemand durchgekommen.
Vorsichtig schlich er weiter. Die Dumpfigkeit und Kälte des Ganges hatten sie auf die eisige Luft draußen vorbereitet. Der Himmel war zwar klar und blau, aber der Schnee lag wie eine knirschende Decke auf jeder offenen Stelle.
Sie waren ungefähr zwanzig Schritt von den Mauern der Abtei entfernt an die Oberfläche gelangt, im Schutze einer Anhöhe, auf der Bäume eine dünne Deckung vor spähenden Augen boten.
Eadulf schaute sich aufmerksam um.
»Runter!« zischte er plötzlich.
Fidelma gehorchte wortlos.
Dicht an der Südmauer der Abtei standen ein halbes Dutzend Männer zusammen. Bei ihnen saß zu Pferde eine schlanke Gestalt mit langem rotem Haar, anscheinend ein Mädchen. Einer der Männer sprach mit ihr. Dann hob sie bestätigend die Hand und trieb ihr Pferd an, geradewegs auf das Versteck zu. Der Pfad führte dicht daran vorbei, doch der Rappe preschte vorüber, ohne daß sie gesehen wurden. Nachdenklich schaute Eadulf Pferd und Reiterin hinterher.
»Was ist?« fragte Fidelma, der seine erstaunte Miene auffiel.
»Ich könnte schwören, daß es dieselbe Frau war, die ich neulich abends gesehen habe und über die sich alle so aufregen.« Er blickte zurück zu den Männern an der Abteimauer. »Ich frage mich, was die da zu tun haben?«
Fidelma folgte seinem Blick.
»Sind es Männer aus der Abtei, die sich gegen den Angriff der Sachsen rüsten?«
Eadulf schüttelte den Kopf.
»Ein merkwürdiger Ort für eine Verteidigungsposition«, meinte er. »Jeder Angriff von See her müßte von Osten kommen.« Er hielt inne und lauschte. Es war nichts zu hören, weder von einer anmarschierenden Kriegerschar noch von Verfolgern, die nach ihnen suchten. Vorsichtig schaute er sich um. »Ich fürchte, es wird ein langer Weg nach Tunstall. Ich wünschte, wir hätten uns Pferde besorgen können.«
Fidelma fühlte sich viel besser, seit sie aus dem dunklen, engen, feuchten Gang heraus war, und wurde mutwillig.
»Ich dachte, du reitest nicht gern?«
Eadulf lächelte kurz. Ihr Humor war ein Zeichen, daß sie fast wieder die alte war.
»Ich mache mir Sorgen um dich. In deiner Verfassung durch den Schnee stapfen läßt den Weg lang werden.«
»Keine Sorge, Eadulf. Es stimmt, ich würde lieber mit einem heißen Getränk an einem schönen Feuer sitzen, aber wir dürfen nicht wählerisch sein. Je eher wir uns auf den Weg machen, desto eher kommen wir an.«
Eadulf nickte, bestand aber darauf, ihre beiden Reisetaschen zu tragen, um Fidelma zu entlasten. Sie gingen tiefer in den Wald hinein, und Eadulf bemühte sich, Wege zu finden, auf denen kein Schnee lag und auf denen sie keine Spuren für etwaige Verfolger hinterließen. Er schritt langsam und gleichmäßig aus, dennoch mußte Fidelma ab und zu Pausen einlegen, denn ihr Atem ging flach und schnell. Offensichtlich machte ihr die Krankheit
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