Verneig dich vor dem Tod
einnehmen wie in deinem Land, Fidelma. Sei vorsichtig,wenn du Leute befragen willst. Man hält es für unschicklich, wenn Frauen Autorität ausüben.«
Fidelma verzog das Gesicht. »Ich kann mich nicht verstellen.«
»Ich meine nur, daß du dich umsichtig verhalten solltest.«
»Wenn ich es nicht tue, wirst du mich sicher warnen.« Sie lächelte fröhlich.
»Nun, die Klugheit gebietet, daß wir uns vor allem aus der Reichweite des Abts Cild bringen sollten.«
»Aber du willst doch das Rätsel lösen, das den Tod deines Freundes umgibt?«
»Das will ich«, versicherte Eadulf mit ruhiger Entschlossenheit.
»Dann werden wir es auch tun. Wenn du mir nun noch einige deiner gräßlichen Aufgüsse gegen eine wunde Kehle und gegen Kopfschmerzen brauen kannst, werde ich mich vielleicht bald imstande fühlen, dich auf dem Weg nach Tunstall zu begleiten.«
KAPITEL 10
Der Tag verging für Eadulf quälend langsam. Fidelma ruhte und schlief die meiste Zeit. Ab und zu schritt Eadulf im Zimmer auf und ab und versuchte damit die Spannung zu mindern, unter der er litt. Nur die Tatsache, daß Bruder Higbald ihm einen Fluchtweg gezeigt hatte, bewahrte ihn davor, daß sein Ärger in unbezähmbare Wut umschlug. Bruder Higbald und Bruder Redwald waren die einzigen Besucher im Laufe des Tages. Bei diesen Gelegenheiten war Fidelma wach, stellte sich aber schlafend, wenn sie eintraten, damit ihre fortschreitende Genesung nicht dem Abt Cild gemeldet wurde.
Bruder Redwald, der ihnen die Mahlzeiten brachte, blieb gerade lange genug, um die dampfenden Schüsseln mit Brühe und die Teller mit kaltem Fleisch, Käse und Brot abzustellen oder die leeren Tabletts mitzunehmen. Bruder Higbald war bei seinem Besuch lockerer und mitteilsamer, was die Ereignisse in der Abtei anging. Er berichtete Eadulf, daß Abt Cild Vorbereitungen für das Gericht traf, vor dem Fidelma der Geisterbeschwörung angeklagt werden sollte. Der Abt würde sowohl als Ankläger als auch als Richter auftreten. Er hatte Bruder Willibrod gesagt, er gebe Fidelma nur noch einen Tag, sich von ihrer Krankheit zu erholen. Danach habe sie, ganz gleich in welcher Verfassung, vor ihm zu erscheinen und sich zu verantworten. Bruder Higbald riet ihnen nochmals dringend, die Abtei so bald wie möglich zu verlassen.
Eadulf hörte aufmerksam zu, nickte zustimmend, doch er legte sich nicht fest. Fidelma hatte ihm empfohlen, sich nicht zu äußern, niemandem in der Abtei zu trauen, auch nicht Bruder Higbald. Als Eadulf meinte, Bruder Higbald habe sein volles Vertrauen, hatte Fidelma ihn getadelt.
»Unter diesen Umständen solltest du niemandem trauen. Woher weißt du, daß er nicht vom Abt geschickt wird, um uns zum Handeln zu verleiten?«
Eadulf befolgte ihren Rat, und als der Apotheker wissen wollte, zu welcher Zeit sie aufbrechen würden, wich Eadulf aus und meinte, das hänge davon ab, wann Fidelma sich hinreichend erholt habe.
Eadulf verbrachte die Nacht in unbequemer Stellung. Er hatte sich entschlossen, in Fidelmas Zimmer zu bleiben und auf dem Stuhl am Feuer zu schlafen. Er nickte immer nur für eine kurze, unruhige Zeit ein und schaute inzwischennach Fidelma, die in einem ungestörten Schlummer lag; ihre Temperatur war normal.
Er erwachte schließlich, als das graue Morgenlicht ins Zimmer drang. Im Winter kam die Dämmerung spät, und nach den Geräuschen ringsum zu urteilen, hatten die Mitglieder der Abtei ihre Morgenandacht bereits beendet und waren bei der Arbeit. Es klang ungewöhnlich geschäftig. Dann fiel ihm ein, welcher Tag heute war: der Heilige Abend, der Vorabend der Geburt des Heilands. Er fühlte sich schuldig, weil er nicht früher daran gedacht hatte.
Besorgt stand er auf und stellte zu seiner Überraschung fest, daß Fidelma sich schon gewaschen und angezogen hatte.
»Du mußt vorsichtig sein«, sagte er ohne Vorrede. »Wenn Abt Cild dich so sähe, würde er merken, daß du vollständig genesen bist.«
»
Deo favente
geht es mir gut.« Fidelma lächelte. »Mach dir keine Sorgen. Ich meine, ich bin nun kräftig genug für die Reise, und es wird Zeit, daß wir deinen Fluchtweg erproben.«
Eadulf wollte gerade zu dem Wandteppich gehen, um ihn ihr zu zeigen, da klopfte es zaghaft an der Tür. Gleich darauf trat Bruder Redwald ein. Er brachte wie üblich ein Tablett mit Essen.
Er machte große Augen, als er Fidelma aufrecht und angezogen sah.
»Es ist schön, daß du wieder gesund bist, Schwester«, murmelte er verlegen und setzte das Tablett ab.
»Bruder
Weitere Kostenlose Bücher