Verneig dich vor dem Tod
Redwald, nicht wahr?« Fidelma lächelte den jungen Mann sanft an. »Ich fürchte, in den letzten beiden Tagen habe ich meine Umwelt kaum wahrgenommen, aberich erinnere mich an deine Freundlichkeit an dem Abend, als ich in der Abtei eintraf.«
Der junge Mann errötete heftig.
»Schwester, ich muß gestehen, daß ich dir einen schlechten Dienst erwiesen habe.«
»Bruder Eadulf sagte mir, daß du lediglich berichtet hast, was du gesehen hast, als du neulich in dieses Zimmer kamst«, antwortete Fidelma. »Andere haben daraus falsche Schlüsse gezogen, das ist nicht deine Schuld. Kannst du mir beschreiben, was du wirklich gesehen hast?«
Der junge Mann trat von einem Fuß auf den anderen und schaute Bruder Eadulf an.
»Ich sagte zu ihm …«
Fidelma unterbrach ihn mit einer leichten Handbewegung und einem Lächeln.
»Das ist nicht dasselbe, als wenn du es mir sagst. Beschreibe, was du gesehen hast.«
»Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Ich kam ins Zimmer und wollte schauen, ob ich dir irgend etwas bringen könnte. Du lagst im Schlaf oder im Fieber. Eine Gestalt stand an deinem Bett und beugte sich über dich. Es war eine Frau. Als ich eintrat, richtete sie sich auf und wandte sich mir zu. Sie blickte mir gerade ins Gesicht. Ich erkannte sie, denn als ich in diese Abtei kam, war Abt Cilds Frau noch am Leben. Das war sie, Lady Gélgeis, von der es heißt, sie sei im Moor nicht weit von hier untergegangen.«
Fidelma betrachtete ihn nachdenklich.
»Wie sah sie aus? Ich meine, war sie so körperlich vorhanden wie ich jetzt? Verstehst du, wenn sie tatsächlich ein Geist gewesen wäre, wie anscheinend alle glauben, dann wäre sie sicher eine Gestalt ätherischer Art gewesen. Siehätte etwas an sich gehabt, was nicht von irdischer Natur wäre.«
Der junge Mann schwieg und überlegte.
»Sie war wirklich körperlich vorhanden. Aber sie war ein Geist. Was sollte sie sonst sein, da sie doch tot ist? Jedenfalls war es klar, daß sie ein Geist war trotz ihrer Körperlichkeit.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ihr Gesicht geisterhaft weiß war. Selbst im flackernden Kerzenlicht erschien ihr Gesicht blaß, bleich … Wahrhaftig, sie war nicht von dieser Welt.«
Fidelma preßte die Lippen zusammen. Sie merkte, daß Bruder Redwald leicht zitterte und daß es nicht klug wäre, mehr aus ihm herausholen zu wollen. Sie wollte ihn schon entlassen, da waren draußen eilige Schritte zu hören. Bruder Higbald öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. Er sah erregt aus. Sein Blick fiel zuerst auf Schwester Fidelma. Er lächelte und wollte etwas sagen, als er Bruder Redwald bemerkte.
»Geh in deine Zelle, ich komme dir gleich nach. Beeil dich.« Sein Ton war schroff.
Eadulf und Fidelma tauschten erstaunte Blicke.
»Was ist los?« fragte Eadulf, während der junge Mönch gehorsam davoneilte.
Bruder Higbald sah Bruder Redwald nach, als wolle er warten, bis der außer Hörweite war. Darauf sprach er leise und dringend, erst zu Fidelma und dann zu Eadulf.
»Bring dich in Sicherheit, Schwester Fidelma; bring dich in Sicherheit, Bruder Eadulf«, sagte er in unheilverkündendem Ton. »Schreckliche Nachrichten …!«
»Nachrichten? Was für Nachrichten?« erkundigte sich Eadulf.
»Krieger der Ost-Sachsen sind an der Küste gelandet, nicht weit von hier. Es heißt, sie marschieren in unsere Richtung.«
Eadulf nahm das nicht ernst. »Das sind wahrscheinlich die Leute aus dem Langschiff, die ich vor zwei Tagen traf. Das waren nur ein paar Mann. Die können uns doch nicht gefährlich werden?«
Bruder Higbald blieb beunruhigt.
»Die Nachricht besagt, daß es viele Langschiffe sind, und es könnten sehr wohl Sigeheres Leute sein, die alle christlichen Häuser zerstören wollen, die seinen Vetter Sebbi unterstützen. Sie sollen auf dem Wege hierher sein. Folgt meinem Rat und bringt euch in Sicherheit! Du weißt, was zu tun ist, Bruder. Ich muß mich um unsere Verteidigung kümmern.«
Er warf ihnen noch einen bittenden Blick zu, ehe er eilig davonging.
Mit besorgter Miene wandte sich Eadulf Fidelma zu.
»Das sind schlechte Neuigkeiten. Aber sie könnten auch von Vorteil für uns sein. Ich meine, wir müssen tun, was er uns rät. Bist du stark genug für die Reise?«
Fidelma zögerte, dann nickte sie in stummem Einverständnis.
»Ich schlage vor, wir brechen sofort auf, bevor Abt Cild behauptet, du hättest eine Armee von Ost-Sachsen zum Überfall auf seine Abtei herbeigezaubert«, sagte Eadulf.
»Vielleicht hast du recht.« Fidelma
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