Verneig dich vor dem Tod
Streitgespräch über Religion zu übergehen. Sie bemerkte, daß ein Schatten über sein Gesicht lief.
»Ja«, sagte er kurz.
»Du hast nicht geheiratet?«
Mul trat von einem Fuß auf den anderen.
»Ich war verheiratet … Früher mal.«
»Was ist passiert?«
»Du stellst viele Fragen für eine Frau«, knurrte er.
»Ich bin von Natur aus neugierig«, erwiderte Fidelma trocken. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. »Ach, jetzt weiß ich. In eurer Kultur haltet ihr es nicht für schicklich, daß Frauen sich den Männern gleich achten und Fragen stellen.«
Mul machte ein etwas finsteres Gesicht und wußte anscheinend nicht so recht, wie er sich zu ihrer selbstsicheren Art verhalten sollte.
»Ich bin schon mehr Nonnen aus deinem Volk begegnet. Ich finde es merkwürdig, daß eure Männer euch soviel Freiheit lassen.«
Plötzlich öffnete sich die Tür. Der Hund fuhr auf, und nur ein scharfer Befehl Muls hielt ihn vom Sprung ab. Eadulf brachte einen Schneeschauer mit herein, bevor er die Tür hinter sich zuziehen konnte.
»Sitz, Bragi! Sitz!« kommandierte Mul. Dann sagte er grimmig zu Eadulf: »Sei lieber vorsichtig,
gerefa.
Ich halte den Hund nicht als Kuscheltier. Bragi ist ein Wachhund.«
Eadulf antwortete mit einem unverbindlichen Grunzen, legte den Mantel ab und setzte sich.
»Das Wetter scheint noch schlechter zu werden«, sagte er und nahm einen Becher Apfelwein von Mul entgegen.
Der Bauer saß am Feuer, und der Hund legte ihm den Kopf auf einen Fuß.
»Du hast recht,
gerefa.
In diesem Winter hat es mehr Schneestürme gegeben, als ich zählen kann. Hier in der Gegend sind viele Tiere umgekommen. Wir armen Bauern haben wie immer darunter zu leiden, und wenn die Männer des Königs kommen und seine Steuern eintreiben, dann ist es Frühling, und die Schäden des Winters sind vergessen. Wir müssen zahlen, oder man nimmt uns was weg. Aber so ist das nun mal. Daran wird sich auch nichts ändern. Die Männer des Königs fallen über uns her wie Diebe und nehmen uns fast alles, lassen uns nur so viel, daß wir überleben, bis sie uns das nächste Mal scheren.«
Fidelma lächelte teilnahmsvoll.
»Ein Gelehrter namens Suetonius schrieb einmal, es sei die Aufgabe eines guten Hirten, seine Herde zu scheren, aber ihr nicht das Fell abzuziehen.«
Mul schaute sie mit plötzlicher Anerkennung an.
»Deine Frau hat einen guten Verstand«, gestand er Eadulf, »aber sie kennt die Steuereinnehmer des Königs nicht. Die würden einem wirklich das Fell abziehen, wenn sie etwas damit anfangen könnten.«
»Einen solchen Winter wie diesen würde man doch wohl berücksichtigen?« wandte Eadulf ein.
»Wir haben schon schlechte Winter gehabt, aber dieser ist der schlimmste, solange ich denken kann. Du stammst aus dieser Gegend,
gerefa
. Du kannst es bezeugen.«
»Du hast recht, ich kann mich auch an keinen Winter erinnern, der so kalt und so übel gewesen wäre, und wir sind dir dankbar, daß du uns bei diesem unwirtlichen Wetter Gastfreundschaft gewährst«, antwortete Eadulf.
Mul legte den Kopf zurück und brüllte vor Lachen.
Eadulf wechselte einen Blick mit Fidelma und runzelte die Stirn. »Was erheitert dich so?«
»Daß du annimmst, ich
gewähre
euch Gastfreundschaft.« Er hatte das Wort »gewähre« betont.
»Das verstehe ich nicht«, erwiderte Eadulf.
»Ich gewähre euch Unterkunft und Essen, aber gegen Bezahlung.«
Eadulf zog eine ärgerliche Miene.
»Ich erinnere mich, daß du Lohn für die Fahrt zur Abtei verlangtest. Ich hätte mir denken können, daß du nicht ganz umsonst Leute aus dem Schneesturm hereinholst und bei dir übernachten läßt.«
Mul grinste. »Als Bauer habe ich gelernt, daß Geld wie Dung ist. Es nutzt nichts, wenn es nicht verteilt wird,
gerefa.
Ich weiß, daß du etwas zu verteilen hast, und das hilft mir, den Verlust wettzumachen, den ich in diesem Winter erleiden werde.«
»Das entspricht aber nicht der christlichen Vorstellung von Nächstenliebe …«, protestierte Eadulf.
»Die Frau wird dich daran erinnern«, entgegnete Mul, »daß ich kein Christ bin.«
»Eadulf«, unterbrach ihn Fidelma sanft, »der Mann hat nicht unrecht. Ein
quid pro quo
– Leistung und Gegenleistung.«
Mul nickte ihr zu.
»Eine kluge Lebensregel, Frau. Beides ist wichtig, ein guter Verstand und die Fähigkeit, ihn zu gebrauchen. Ich bin sicher, ihr gönnt mir einen Penny für die Übernachtung, denn der Schneesturm hat jetzt voll eingesetzt. Vor morgen früh könnt ihr nicht weiter.«
Eadulf
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