Verneig dich vor dem Tod
ihr auf. Sie hörte einen Hund bellen.
Eadulf hielt ihr Pony, während sie abstieg, band die Zügel an einen Pfosten und ging zur Tür. Bevor er anklopfen konnte, flog sie auf, und eine stämmige Gestalt stand im Rahmen. Mit einer Hand hielt sie den Hund fest, der bellte und knurrte und sich losreißen wollte. Dahinter erblickte man den schwachen Schein eines einladenden Kaminfeuers.
»Wer seid ihr und was sucht ihr hier?« ertönte eine wohlbekannte rauhe Stimme.
»Friede deinem Hause, Mul«, erwiderte Eadulf. »Kennst du uns noch? Die Reisenden, die du zu Aldreds Abtei mitgenommen hast.«
Mul trat näher und musterte ihn und dann Fidelma.
»Ich kenne dich wohl,
gerefa,
habe allerdings nicht erwartet, dich wiederzusehen, nachdem du durchs Tor dieses verfluchten Orts gegangen bist!« Er wandte sich seinem Hund zu und schlug ihm kräftig auf die Nase. »Ruhig, Bragi, ruhig! Geh an deinen Platz!«
Der Hund knurrte leise, aber Mul gab ihm noch einen Klaps auf die Nase, und darauf senkte er den Kopf und ging hinein.
Mul wandte sich ihnen zu.
»Was sucht ihr nun hier?« fragte er erneut.
»Schutz vor dem Wetter«, erwiderte Eadulf.
»Wie ich sehe, seid ihr zu Ponys gekommen, seit wir uns zuletzt begegnet sind. Bring sie in die Scheune. Dort drin findest du Futter und Wasser.« Er zeigte auf ein nahes Gebäude,und während Eadulf seine Anweisung befolgte, wandte sich Mul an Fidelma. »Tritt ein und wärme dich am Feuer. Diese Schneestürme sind die schlimmsten, die ich je erlebt habe.«
Fidelma ging mit dem Bauern hinein, und Mul schloß die Tür hinter ihr. Der Hund schaute auf, knurrte leise, machte aber keine Bewegung.
»Bragi tut dir nichts, weil er sieht, daß du kein Feind bist.«
Fidelma lächelte leise, nahm ihre Mäntel ab, setzte sich ans Feuer und genoß die Wärme.
Über den züngelnden Flammen hing ein großer Metallkessel mit einer Suppe, deren aromatischer Duft das kleine steinerne Bauernhaus erfüllte. Mul ging hin, nahm einen Löffel, rührte um und prüfte den Inhalt.
»Schweinefleischsuppe«, erläuterte er. »Ist bald fertig.«
Mul war ganz so, wie sie ihn in Erinnerung hatte, mit mächtigen Schultern, muskulösem Körper, grobem rotem Gesicht und dicker Stupsnase. Kurzum, er war häßlich, doch trotz der dicht beieinander stehenden Augen, der Nase und der lückenhaften gelben Zähne strahlte er so etwas wie Gemütlichkeit aus.
Sie blickte sich in dem Raum um. Es war der übliche Wohnraum mit der Kochstelle in der Mitte. Er war grau und verräuchert vom Feuer, doch die Wärme war sehr willkommen, wenn auch der Rauch ihre wunde Kehle reizte. Der zweite Raum verriet einen Reichtum, den nicht alle Bauern besaßen. Dieser Raum reichte nicht bis zum Dach, sondern hatte eine Balkendecke, die einen dritten Raum abtrennte, der an einer Seite zum Wohnraum hin offen und über eine Leiter zu erreichen war.
Offensichtlich benutzte Mul weder diesen Dachraum noch den zweiten Raum, denn auf der anderen Seite des Herdes stand ein hölzernes Bettgestell, das ihm anscheinend als Schlafstelle diente. Die meisten Leute schliefen in den Wintermonaten neben dem Herd, weil es dort am wärmsten war. Der Raum war dunkel, er wurde nur vom Feuer erhellt. Mul schien ihre Gedanken zu erraten, denn er beugte sich über das Feuer und steckte eine Kerze an. Dann ging er zu einer Lampe und zündete den Docht an.
»Einen Schluck Apfelwein, um den Geist zu erwärmen?« fragte er und stellte die Lampe auf den Tisch.
Sie nickte schweigend und rieb ihre Arme, um das Blut wieder in Bewegung zu bringen.
Mul ging zu einem hölzernen Schrank und nahm ein paar Tonbecher heraus, die er aus einem Krug füllte.
»Der Gott der Christen konnte nur Wasser schaffen«, sagte er lächelnd und reichte ihr einen Becher, »aber Ägir, der Gott der Sachsen, schuf den Apfelwein und versorgte die Asen mit dem heiligen Getränk zur Tagundnachtgleiche im Herbst.«
Fidelma runzelte die Stirn. Sie hatte vergessen, daß Mul Heide war. Kein Wunder, daß sie keins der Symbole sah, mit denen ein Christ sein Haus zur Feier dieses Tages schmückte. Sie mußte sich immer wieder sagen, daß heute der Geburtstag Christi war.
»Du glaubst also noch an die alten Götter, Mul?«
Mul grinste breit. »Wenn ich’s nötig habe, Frau.«
Sie schwieg einen Moment und nahm einen Schluck von dem Apfelwein. Er war süß und stark und tat ihrer Kehle gut.
»Du hast hier ein großes Haus, Mul.« Sie beschloß, seineangedeutete Einladung zu einem
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