Verplant verliebt
Seitenwand und sie erschrak: Ihre Haare sahen aus, als wollte sie Vögel zum Nestbau einladen, und die eilig ausgesuchte Strumpfhose hatte eine Laufmasche. Das blau-weiße Pünktchenkleid war hinten zerknittert. Sie hatte es heute Morgen eilig übergeworfen, weil sie so nicht erst Ober- und Unterteil kombinieren musste. Verzweifelt kramte sie in ihrer Handtasche nach einem Haargummi. Gerade als sie ihren Struwwelkopf gebändigt hatte, kündigte der Fahrstuhl mit einem Pling seine Ankunft an. Marie stürmte hinaus und landete direkt in Gregors Armen.
„Heute so spät, meine Liebe? Hast dir wohl am Wochenende reichlich Arbeit mit nach Hause genommen.“ Gregor grinste noch breiter als sonst und wünschte ihr einen ereignisreichen Tag, bevor er im Büro seiner Vertriebsabteilung verschwand.
Was hatte der denn zum Frühstück? Einen Clown? Marie bog ins Büro, schleuderte die Handtasche auf ihren Schreibtisch und hielt inne: Die anderen Schreibtische waren alle leer. Hatte sie einen wichtigen Termin vergessen? Das Teammeeting war doch erst morgen. Sie schaute in den Kalender ihres Handys: nichts.
Gerade als sich Marie auf die Suche nach ihren Kollegen machen wollte, näherten sich Stimmen im Flur.
„Ist doch super, dass sie Lenas Stelle jetzt doch besetzt haben.“
„Ja, aber eine Frau wäre besser gewesen. Wobei ich schon am Samstag einen netten Eindruck von ihm hatte.“
Marie war verwirrt: Stelle besetzt? Netter Eindruck am Samstag?
Albert und seine Freundin Sandra traten ins Büro, gefolgt vom Rest der Abteilung.
Albert erblickte Marie. „Da bist du ja! Musstest du dich erst von der Party erholen? Die Sternfrüchte hatten's in sich, was?“
Marie wurde rot. Sie hatte gehofft, dass ihr Ausflug ins Promillereich unentdeckt geblieben war. „Ja, danke für die Einladung. Ihr habt euch echt ins Zeug gelegt.“
Sandra strahlte.
Marie wechselte schnell das Thema: „Es gibt einen Nachfolger für Lena?“
In diesem Moment betrat die Königin das Büro. Marie flitzte zu ihr.
„Frau König, entschuldigen Sie bitte, dass ich etwas spät dran bin. Ich habe ver...“
Marie blieb wie angewurzelt stehen. Hinter ihrer Chefin betrat Karlo im dunklen Anzug das Zimmer. Als er sie sah, schaute er ihr direkt in die Augen. Dann zwinkerte er kaum merklich.
Was zum Teufel wollte der hier? Sie versuchte, eine plausible Erklärung für Karlos Anwesenheit zu finden – eine, die nichts mit dem neuen Kollegen zu tun hatte. Hilfesuchend blickte sie zwischen Karlo und der Königin hin und her und sah, wie sich der Mund ihrer Chefin bewegte. Die Worte drangen nur in Bruchstücken zu ihr durch. „Darf ich ... neuer Kollege Karlo Winterfeld ... Akquiseprofi ... ergänzt das Team ...“
Apathisch schaute Marie auf die Hand, die ihr Karlo entgegenstreckte. Die Chefin fuhr fort: „Marie Rebmann ... erfahrene Kollegin ...“
Mechanisch griff Marie nach der Hand, dann hörte sie die Stimme, die ihr seit dem Wochenende nicht mehr aus dem Kopf ging: „Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin mir sicher, wir werden gut zusammenarbeiten.“
Dabei schaute ihr Karlo fest in die Augen, als wollte er sie beschwören, bloß nichts Falsches zu sagen.
Die Königin lächelte zufrieden. „Dann kennen sie ja jetzt alle Teammitglieder, Herr Winterfeld. Ich bin mir sicher, einer der Kollegen führt sie gerne durchs Haus und zeigt ihnen alles.“
Kaum hatte die Chefin ihren Satz beendet, stand Bernadette neben Karlo und sagte in ihrer rauchigen Stimme, die sie nur für die männlichen Kollegen reserviert hatte: „Das übernehme ich.“
Die Chefin nickte und ging in ihr Büro. Bernadette legte ihre langen falschen Fingernägel auf Karlos Oberarm und schubste ihre blonden Haare über die Schulter. „Kommen Sie. Ich zeige Ihnen, wo's den besten Kaffee gibt und die schönsten Ecken, in denen man sich mal einen Moment zurückziehen kann.“
Karlo sah Marie entschuldigend an und ließ sich hinausführen.
Marie taumelte zu ihrem Schreibtisch und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie hatte ihr das entgehen können? Sie versuchte, den Samstagabend zu rekonstruieren. Gregor hatte Karlo als seinen Studienfreund aus Hamburg vorgestellt. Er sei neu in der Stadt. Oder war es „neu bei uns“? Hatten sie überhaupt nicht über ihre Jobs gesprochen? Wenn man Matrose und Meerjungfrau nicht mitzählte ... Oh, verflixt! Warum nur hatte sich Gregor so ungenau ausgedrückt! Und überhaupt, warum war Karlo so ruhig
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