Verplant verliebt
Vernunft.
„Viel Überzeugungsarbeit musste ich ja nicht leisten“, konterte Karlo.
„Wie selbstgefällig kann man eigentlich sein?“
Marie wollte die Angelegenheit offensichtlich nicht sachlich regeln. Na gut, Karlo konnte auch anders. Er machte einen Schritt auf sie zu, Marie wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Aktenschrank. Karlo folgte ihr und stützte seine Hand an der Metalltür des Schranks direkt neben ihr ab. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter. Karlo holte tief Luft: „Jetzt hör mal zu ...“
Doch Marie wollte nicht zuhören. „Hätte ich gewusst, dass du in meinem Team landest, hätte ich mich garantiert nicht auf dich eingelassen.“
„Ich mich ebenso wenig auf dich.“ Karlo bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Und wenn ich dich erinnern darf: Auch du hast nichts von deinem Job erzählt.“
„Ich wusste ja auch nicht, dass das relevant sein könnte. Im Gegensatz zu dir: Deine Reaktion heute Morgen hat eindeutig gezeigt, dass du genau wusstest, was Sache ist. Du warst nicht im Geringsten überrascht, mich zu sehen.“
„Ja, weil Gregor ...“
„Genau! Gregor hat das super eingefädelt. Marie Rebmann – endlich von einem Kollegen flachgelegt.“
Karlo war mit seiner Geduld am Ende. „Jetzt mach mal halblang! Ich habe Samstag auch nicht gewusst, dass wir zusammenarbeiten werden.“
„Das nehme ich dir nicht ab“, antwortete Marie. Normalerweise wäre Karlo egal gewesen, was ihm eine Frau nach einer gemeinsamen Nacht abnahm und was nicht. Aber er würde mit Marie zurechtkommen müssen. Deshalb sagte er: „Mehr als dir versichern, dass ich bis gestern Mittag nichts gewusst habe, kann ich nicht. Fest steht: Wir müssen uns arrangieren.“
„Ich muss gar nichts.“
„Wir sind jetzt Kollegen, ob uns das gefällt oder nicht. Ich gehe davon aus, dass du professionell genug bist, damit umzugehen.“
„Du willst mir was von Professionalität erzählen?“ Marie schnappte nach Luft. Dann hob sie ihren Kopf und schaute ihm fest in die Augen. „Also gut. Du willst eine professionelle Lösung? Hier ist der Deal: Du machst deins, ich mach meins.“
Karlo zögerte, dann nickte er. Er hatte zwar seine Bedenken, dass es Marie tatsächlich dabei belassen würde. Aber wenn ein bisschen Gras über die Sache gewachsen war, hätte sich vielleicht auch Marie wieder beruhigt. Im Moment galt die Regel, an die sich besser alle klugen Männer hielten: Mit einer Frau in Rage konnte man nicht diskutieren.
Marie ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und fixierte Karlo: „Damit das klar ist: Diese Nacht hat es nie gegeben.“
„Welche Nacht?“, erwiderte Karlo kühl. Gleichzeitig musste er natürlich an genau diese Nacht denken. Viel zu schade für die Löschtaste, befand er.
Marie verließ die Kammer ohne ein weiteres Wort.
Zehn Minuten und eine Zigarette später ging Karlo zurück ins Büro. Er konnte nicht glauben, dass er an seinem ersten Arbeitstag zu einer Kippe gegriffen hatte. Dieses Hintertürchen hielt er sich eigentlich nur für absolute Notfälle offen. Er hatte aufgehört zu rauchen, als er vor zwei Jahren beschlossen hatte, wieder ins Leben zurückzukehren. Die Momente, in denen er seitdem schwach geworden war, konnte er an einer Hand abzählen. Jetzt brachte ihn Marie Rebmann dazu, tatsächlich eine Kollegin auf dem Raucherbalkon um eine Zigarette anzuhauen.
Karlo betrat das Großraumbüro. Er steuerte den Platz an, den die Chefin ihm am Morgen zugewiesen hatte, und hielt auf halbem Wege inne. Am Schreibtisch direkt gegenüber von seinem Arbeitsplatz saß Marie, starrte auf den Monitor und malträtierte ihre Tastatur.
Das konnte doch nicht wahr sein! Neun Kollegen und er erwischte genau sie. Nicht genug, dass er ihr bei der Arbeit wieder begegnet war und sie ausgerechnet zu seinem Team gehörte, jetzt hatte er sie auch noch tagein tagaus direkt vor der Nase sitzen. Klassischer Fall von Murphys Gesetz.
Karlo überlegte, ob er einen der beiden anderen freien Plätze beziehen sollte, aber diese Blöße wollte er sich dann doch nicht geben. Er versuchte, den Drang nach einer weiteren Zigarette mit einem tiefen Atemzug zu unterdrücken.
Marie hatte ihn noch nicht bemerkt. Karlo trat näher und erhaschte einen Blick auf den silbernen Bilderrahmen neben ihrem Monitor. Auf dem Foto erkannte er ihre schwarze Katze und fühlte sich einen Moment an die Handtuchschlacht in Maries Badezimmer erinnert. Solche Gedanken sollte er wohl lieber zu den Akten legen.
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