Verräterische Gefühle
das Gefühl von Unzulänglichkeit und Panik, das sie nie mehr hatte spüren wollen. Das luftige Strandkleid fühlte sich plötzlich wie eine erstickende Decke an, und die anfängliche Euphorie, mitten im Paradies gelandet zu sein, verflog im Nu. Wie hatte sie nur vergessen können, dass man sich dieses Paradies auch leisten können musste! Sie konnte es nicht, weder zeitlich noch finanziell.
Mit ungelenken Bewegungen klappte Katie ihr Skizzenbuch zu, verstaute alles in dem farblosen Leinenbeutel und stand auf. „Gibt es hier einen Internetanschluss?“
„Schon gelangweilt, Freitag?“, spottete Nathaniel, dem es zu seiner eigenen Überraschung gar nicht gefiel, dass sie ihr kleines Geplänkel beendete.
„Ich muss mir einen neuen Job suchen. Sie haben mir zwar versprochen, mich den prominentesten Kostümdesignern vorzustellen, aber ich weiß nicht, wie Sie das von hier aus bewerkstelligen wollen. Deshalb kümmere ich mich lieber selbst …“
„Warten Sie hier!“, rief er, sprang von der Liege und marschierte ins Haus. Kurz darauf kehrte er zurück, unter dem Arm einen Stapel loser Blätter. „Lesen Sie das“, forderte er und warf ihr das Bündel in den Schoß. „Es ist das Skript für meinen nächsten Film. Wir haben uns noch für keinen Kostümdesigner entschieden.“
Fassungslos starrte Katie auf den Stapel Papier und überlegte, warum Nathaniel das Skript so plötzlich herausgerückt hatte. Ein schlechtes Gewissen? Ganz sicher nicht! Nathaniel Wolfe besitzt gar kein Gewissen! Warum also? Wollte er sie nur beschäftigen, damit er sich möglichst wenig um sie kümmern musste? Schon eher!
„Die Chance, als blutige Anfängerin einen derartigen Auftrag zu ergattern, liegt bei null, wie Sie selbst wissen.“
„Fertigen Sie ein paar Skizzen an, dann sehen wir weiter.“
Energisch unterdrückte Katie das Fünkchen Hoffnung, das in ihr aufkeimen wollte. „Versuchen Sie, so Ihr Gewissen zu beruhigen, weil ich Ihretwegen meine Stelle am Theater verloren habe?“
„Wie ich bereits erwähnte, wenn es mit meiner Arbeit zu tun hat, kenne ich keine Gewissensbisse. Ich will den oder die Beste, und was ich an Skizzen in Ihrem Apartment gesehen habe, hat mir gefallen. Die Frage ist, können Sie sich auf ein modernes, zeitgenössisches Thema einstellen? Das ist nicht Shakespeare.“
Ihm gefallen meine Skizzen!
„Sind Sie in dieser Produktion Darsteller oder Regisseur?“
„Ich führe Regie. Denken Sie nicht an Schauspieler aus Fleisch und Blut, wenn Sie es lesen, sondern nur an die Charaktere.“
„Dann wollen Sie also nicht mehr als Filmstar auftreten?“ Katie wartete auf eine Antwort und versuchte, sich von dem lastenden Schweigen nicht einschüchtern zu lassen. „Haben Sie deshalb das Engagement am Londoner Theater angenommen?“
„Hören Sie eigentlich jemals auf zu fragen?“
„Tut mir leid, ich eigne mich eben nicht zum Schweigemönch. Ich wollte auch nur höflich sein.“
„Warum? Wir befinden uns hier doch nicht auf einer Cocktail-Gartenparty.“
„Sie sind nicht der Einzige, der unter dieser unmöglichen Situation leidet“, informierte sie ihn spitz. „Sie könnten ruhig etwas netter zu mir sein.“
„Werfen Sie sich in einen Bikini, und ich demonstriere Ihnen, wie nett ich sein kann.“
Warum musste er sie nur immer wieder auf diese Art herausfordern? Denn ernst konnte es ihm mit seinen lasziv-erotischen Andeutungen unmöglich sein. Dafür war sie viel zu weit von seinem Frauenideal entfernt. In jeder Beziehung!
Katie schloss ihre Finger um die Blätter und fragte: „Wie lange dauert es noch bis zum Dinner?“ Wenn er nicht mit ihr reden wollte, konnte sie sich genauso gut das Drehbuch anschauen.
Nathaniel wartete voller Ungeduld. Nervös trommelte er mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Zwei SMS waren auf seinem Handy eingegangen. Beide von Jacob. Seine Laune und sein Adrenalinspiegel waren kurz vor dem Siedepunkt. Selbst hier, am anderen Ende der Welt, holte seine Vergangenheit ihn ein.
„Hat Katie gesagt, wie lange sie noch braucht?“
„Ich habe an ihre Tür geklopft, aber keine Antwort erhalten. Mag sein, dass sie nach dem langen Flug erschöpft ist und noch schläft.“ Ben, ein junger, attraktiver Bediensteter, schenkte Wein in die beiden Gläser auf dem Tisch. „Soll ich es noch einmal versuchen?“
Abrupt stieß Nathaniel seinen Stuhl zurück. „Das mach ich selbst.“ Auf der Suche nach Ablenkung und Zerstreuung, gleich welcher Art, legte er das Handy auf
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