Verräterische Gefühle
Nathaniel Katies warme Hand auf seinem Arm. „Er ist es nicht wert.“
Sekundenlang sah es so aus, als würde er nicht auf sie hören, dann aber ließ er den Journalisten so abrupt los, dass dieser taumelte. Angewidert blickte Nathaniel ihm ins kalkweiße Gesicht. „Wagen Sie es nicht, noch einmal so über sie zu sprechen, sonst breche ich Ihnen jeden Knochen im Leib, verstanden? Und jetzt verschwinden Sie!“
Erschrocken und fasziniert zugleich von der Vehemenz, mit der Nathaniel sie verteidigt hatte, fühlte Katie sich ihm näher als zuvor. Und als er dann auch noch den Kopf neigte und sie mitten auf den Mund küsste, glaubte sie vor Glück zu sterben.
Um sie herum entbrannte ein lebhaftes Getuschel zwischen den Reportern, die aufgeregt spekulierten, ob sich vor ihren Augen gerade eine Sensationsstory entwickelte, oder sie womöglich schon Entscheidendes verpasst hatten. Katie wollte schon aufatmen, weil sie dachte, der Sturm im Wasserglas sei vorüber, da meldete sich aus dem Hintergrund eine klirrende Stimme, die eindeutig einer Frau gehörte. Einer gertenschlanken Blondine mit auffälligem Make-up und kaltem Blick.
„Bewundernswert, was für eine steile Karriere Sie hingelegt haben, Mr Wolfe, nachdem Sie als Kind durch die Hölle gehen mussten.“
Der Druck um Katies Hand wurde fester, sonst jedoch ließ Nathaniel sich nichts anmerken. „Meine Kindheit war okay.“
„Wirklich? Und was ist mit Carrie? Wird es nicht Zeit, dass wir auch einmal über sie reden? Ich weiß jedenfalls nicht, was aus mir geworden wäre, wenn meine Mutter versucht hätte, mich als Säugling zu ertränken.“
Carrie? Seine Mutter?
Neben Katie warteten die dreiste Reporterin und alle anderen Journalisten atemlos auf Nathaniels Reaktion. In seinen Augen flammte heiße Wut auf, aber er machte keine Anstalten, sich zu wehren oder eine Erklärung abzugeben. Das schien der eiskalten Blondine neuen Auftrieb zu geben.
„Warum machen Sie so ein Geheimnis aus Carries Erkrankung? Eigentlich müssten Ihr Bruder Sebastian und Sie doch stolz darauf sein, einen Teil ihrer Millionen in ein Luxuscottage investiert zu haben, damit Ihre Mutter nicht in der Nervenheilanstalt vor sich hinsiechen muss, sondern sich vormachen kann, ihr Leben verlaufe immer noch ganz normal.“
Angesichts solcher Grausamkeit und Perfidität setzte Katies Herz einen Schlag aus, nur um gleich darauf in einem wütenden Stakkato weiterzuschlagen. Nathaniel stand immer noch da wie eingefroren, aber wie mochte es in seinem Innern aussehen?
Die dreiste Reporterin lächelte zufrieden, bis Katie wie eine Furie auf sie losging. „Wie können Sie es wagen, private Tragödien als Anlass zu nehmen, Ihre mehr als zweifelhafte Karriere vorantreiben zu wollen?“, herrschte sie die verblüffte Frau an. „Sie haben weder Anstand noch Moral! Schämen Sie sich!“
Nathaniel griff nicht ein, sondern wandte sich ruhig an den bulligen Mann, der an seine Seite getreten war. „Sie kommen zu spät“, sagte er gedämpft.
Der Hüne trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Tut mir leid, Boss, aber der Verkehr in L.A.-City war mörderisch.“
Ehe Katie wusste, wie ihr geschah, fand sie sich in einer schwarzen Limousine mit getönten Scheiben wieder, die sich in Bewegung setzte, kaum dass die Türen geschlossen waren. Kraftlos ließ sie sich in die weichen Polster fallen und versuchte, zur Besinnung zu kommen.
Warum hat er mir nichts von Carrie erzählt? Wollte sie ihn als Baby wirklich umbringen? Den eigenen Sohn?
„Es tut mir so leid“, flüsterte Katie. „Diese widerliche Klatschreporterin hatte kein Recht, dich mit all diesen Sachen zu konfrontieren. Wie hat sie es nur herausgefunden?“
Nathaniel lehnte den Kopf gegen den Sitz und schloss die Augen. „Die Überraschung ist nicht, dass sie es herausgefunden hat, sondern, wie lange sie dafür gebraucht hat. Sebastian und ich waren seit Jahren auf diesen Moment gefasst. Bisher konnten wir derartige Dinge von Carrie fernhalten.“
„Warum nennst du deine Mutter eigentlich Carrie? “
„Carrie hat nie wirklich eine Mutterrolle übernehmen können, dafür war sie zu krank.“
„Ist es wahr, dass du ein Haus für sie gebaut hast?“
Nathaniel seufzte und öffnete die Augen. „Sebastian und ich wollten, dass sie trotz aller Einschränkungen so normal wie möglich leben kann. Inmitten ihrer Lieblingsmöbel und Privatpfleger ist sie meistens glücklich. Sie sieht die Angestellten alle als ihre Familie
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