Verrat in Freistatt
fester. Er hörte, daß sie auf ihn zukam, und hob das Messer. Es berührte sie, und sie blieb stocksteif stehen, schwer atmend. »Du hast unser Handgeld genommen!« zischte sie durch zusammengepreßte Zähne. »Tu etwas, um es dir zu verdienen! Hilf mir, ihn zu finden!«
»Das stinkt, Weib! Es stinkt zum Himmel!«
»Er ist in irgendwas verwickelt! Er handelt mit etwas. Krrf. Wer weiß, was.« Ihre Stimme zitterte. »Vis, komm mit! Jetzt! Danach - ich schwöre es dir, bekommst du dein Geld. Du wirst aufgenommen! Ich habe Verbindungen und bürge für dich. Finde meinen Bruder. Er ist irgendwo hier verschwunden. Komm mit. Zum Fluß. Wir müssen ihn finden!«
»Wieviel?«
»Nenn die Summe. Ich besorge sie.«
Eine Frau, die treu war. Jemand, etwas. Er starrte ins Dunkel, bezweifelte alles, stand in der Kammer, die Mama Becho gehörte, und lauschte dem Versprechen auf Gold, das ihn von hier wegbringen konnte.
»Geh zurück«, sagte er und schob sie ein wenig von sich fort. Er wollte ihr Messer vermeiden, von dem er annahm, daß sie es gezückt hatte. »Ich ziehe mein Hemd an. Rühr dich nicht. Sag mir bloß, wo du nach diesem verlorenen Lamm suchen willst.«
»Am Fluß.« Sie hielt den Atem an, ein Stück bewegtes Dunkel in der Kammer. »Dort findet man sie -die Falkenmasken, die man umgebracht hat.«
Er zuckte zusammen, das Hemd noch nicht ganz übergestreift. Er verfluchte sich, dachte an das Gold und entschied sich dafür.
»Das wird dich einiges kosten!«
Moram trat um sich. Sie zerrten ihn von den Füßen und trugen ihn, so daß er bei seinen Abwehrversuchen mehrmals gegen die Wände eines engen Ganges stieß. Es stank nach feuchtem Stein, Schmutz und Schweiß und plötzlich nach warmer, unbewegter Luft. Sie stellten ihn wieder auf die Füße und nahmen ihm die Augenbinde ab. Im gedämpften Lampenlicht sah er den Raum, eine Pritsche, auf der ein zerlumpter kleiner Mann mit verschränkten Beinen saß, mitten zwischen einer Meute anderer - dem menschlicher Abschaum von Abwind -, die ringsum saßen, standen oder kauerten. Er spürte harte Finger, die den Knoten am Nacken lösten, ihn vom Knebel befreiten. Er würgte und versuchte den schmutzigen Lappen auszuspucken, noch ehe dieselben harten Finger ihn mühsam herauszogen. Doch man hatte nicht die Absicht, seine Hände loszubinden. Er durfte nun allein stehen, und seine Knie drohten nachzugeben.
»Falkenmaske«, sagte der Mann auf der Pritsche. »Ich bin Moruth. Hast du von mir gehört?«
Nein, wollte er sagen, aber seine Zunge schien festzukleben. So schüttelte er den Kopf.
»Gewiß«, sagte Moruth - eine unangenehme Stimme mit der Sprechweise des Labyrinths, nicht der von Abwind. »Gewiß denkst du jetzt, daß du diesen Namen lieber nicht kennen solltest und es nichts Gutes bedeutet, daß wir dir die Augenbinde abgenommen haben. Nun, das mag stimmen. Dreh dich um!«
Er blieb wie angewurzelt stehen. Sein Verstand weigerte sich zu arbeiten.
»Umdrehen!«
Man riß ihn herum, so daß er mit dem Gesicht der Tür gegenüberstand. Mit einem dicken Eisennagel durchbohrt, hing dort eine Falkenmaske. Lähmende Furcht übermannte ihn. Vor seinem inneren Auge sah er Brannas an die Brücke genagelt. Man wirbelte ihn herum, so daß er Moruth anblicken mußte.
»Du willst leben«, sagte Moruth. »Du denkst jetzt, daß du wirklich leben willst und das hier ein schrecklicher Ort zum Sterben wäre.« Moruth lachte. Es war ein trockener, häßlicher Laut. »Das stimmt auch. Setz dich - setz dich, Falkenmaske!«
Er schaute sich suchend um. Da war kein Stuhl. Eine Krücke faßte sein Fußgelenk und zog. Er stürzte seitwärts auf den Lehmboden, rollte herum und versuchte wieder auf die Knie zu kommen.
»Laß dir eine Geschichte erzählen«, sagte Moruth leise, »Falkenmaske. Laß dir erzählen, was dieser Jubal tat. Erinnerst du dich? Töte ein paar Bettler, sagte er, und steck ihnen das Kupferstück des Spitzels zwischen die Zähne, damit das Gesindel weiß, was es bedeutet, Verrat an Jubal, dem Sklavenhändler, zu üben. Stimmt doch, nicht wahr?« Die Sprechweise wechselte zu dem näselnden Tonfall der Abwinder über. »Hat er das etwa nicht getan? Er ließ uns umbringen, uns Straßenkinder, die ihm nie etwas getan hatten - um allen Angst einzujagen, die vielleicht daran gedacht hatten, etwas über ihn auszuplaudern. Ihm genügte es nicht, seine Leute zu bestrafen, o nein, er ließ auch noch meinen die Kehle durchschneiden, Falkenmaske. Du weißt davon!«
Ja, Moram
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