Verrat in Freistatt
müßte ich die Wache rufen. Tatsächlich könnte es mich das Leben kosten, ließe ich jemanden das Bild sehen, ehe die Zeit dafür gekommen ist.«
Und das zumindest ist die reine Wahrheit, dachte Lalo. Nun wagte er endlich, bewußten Blickes auf die Leinwand zu schauen. Gegen den Hintergrund der Säulenhalle waren die einstweilen noch groben Umrisse von fünf Gestalten zu sehen. Die eine ganz links war gestern mit dem Bild Lord Raximanders ausgefüllt worden, dem ersten der Gesandten, die hierzu Modell sitzen sollten. Er sah aus wie ein Schwein -selbstgefällig und genußsüchtig, mit einer Spur verbissener Grausamkeit in den kleinen Augen.
Lalo wunderte sich, daß die Gesandten sich so bereitwillig einverstanden erklärt hatten, obgleich sie seit ihrer Ankunft hier ständig mit Inspektionstouren, Treffen und dem Anhören endloser Berichte beschäftigt waren. Vielleicht waren sie froh, wenn sie einmal Gelegenheit hatten, eine Weile ruhig sitzen zu dürfen. Oder möglicherweise fürchteten sie auch die Folgen, wenn sie es ablehnten, zu einem Geschenk für den Kaiser beizutragen. Natürlich konnte es auch sein, daß es ihnen schmeichelte, ihren Besuch in diesem Vorposten des Reichs verewigt zu sehen. Raximander zumindest hatte das Modellsitzen als unausgesprochenes Einverständnis Lalos angesehen, ihn auch noch für ein anderes Bild für sich selbst zu porträtieren.
Nun war das Bild des Erzpriesters neben Lord Raximanders fast vollendet. Wäre es als richtiges Gemälde gedacht gewesen, hätte Lalo noch auf ein paar Stunden länger bestanden, um Haar und Gewand genau auszuführen. Doch so wie es war, genügte es für die Zwecke des Ministers. Als Lalo nun auch Arbalests Bild betrachtete, mußte er ein Seufzen unterdrücken.
Wieso hatte er zu hoffen gewagt, daß der Mann, nur weil er ein Priester war, auch tugendhaft sein würde? Arbalest war allerdings kein Schwein, sondern eher ein Wiesel. Lalo bemerkte eine gerissene Verschlagenheit in den Augen seines Bildes.
»Wenn es Euch angestrengt hat, braucht Ihr nicht länger Modell zu sitzen.« Lalo verbeugte sich vor dem Priester. »Den Rest kann ich auch so fertigmachen.«
Als der Priester gegangen war, schenkte sich Lalo seinen Krug aus der Kanne mit Bier nach, die Coricidius ihm hatte bringen lassen. Abgesehen von der sehr unfeinen Art, wie er ihn hierhergeholt hatte, behandelte ihn der Minister nicht schlecht. Nachdem er ihn erpreßt hatte, das Gemälde für ihn zu malen, gestattete er ihm nun, es in Ruhe und unter angenehmen Umständen zu tun. Sie hatten ihm dazu ein hübsches Gemach im ersten Stockwerk des Palasts zur Verfügung gestellt, unmittelbar an den Dachgarten anschließend, mit Fenstern an drei Seiten, so daß er ausreichend Licht hatte - die Arbeitsbedingungen zumindest waren ideal.
Doch das Gemälde war grauenvoll. Lalo mußte sich zwingen, es noch einmal anzusehen. Er hatte Säulen und eine reichverzierte Decke eingezeichnet, lediglich als Vorsichtsmaßnahme; falls jemand aus einiger Entfernung imstande sein sollte, einen Blick darauf zu werfen. Doch die Gesichter, die er in den Vordergrund einfügte, machten das prunkvolle Drumherum zur Travestie.
Jeder im Palast glaubte offenbar die Geschichte, daß das Gemälde als eine Art Bestechung des Kaisers dienen sollte, und einige, die davon überzeugt waren, daß Lalo dadurch Einfluß gewinnen würde, liebdienerten ihm bereits. Selbst Gilla gegenüber hatte Lalo behaupten müssen, daß die mitternächtliche Verhaftung ein Versehen gewesen und der Auftrag echt sei. Auch wenn sie ihm nicht glaubte, war sie diesmal doch so vernünftig, sich nicht näher mit dieser Behauptung zu befassen.
Doch würden andere es ebenfalls sein? Was war, wenn man ihn mit soviel Vorschußlorbeeren bedachte, daß die Leute darauf bestanden, das Bild zu sehen? Was, wenn einer der Porträtierten so flink war, einen guten Blick darauf zu erhaschen, ehe Lalo die Wache zu rufen vermochte?
Wieder seufzte Lalo tief, leerte seinen Krug und ersuchte den diensthabenden Höllenhund, den nächsten Gesandten hereinzubitten.
Lalo saß auf dem niedrigen Hocker neben dem Tisch, auf dem er sein Arbeitszeug liegen hatte, und wartete auf den vierten Gesandten, der nun Modell sitzen sollte. Er sollte eigentlich dankbar sein, daß er gestern sowohl mit Arbalest wie mit dem kaiserlichen Verwandten fertig geworden war. Voll Abscheu betrachtete er das dritte Gesicht auf dem Gemälde. An den Namen des Mannes konnte er sich nicht erinnern, nur daß
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