Verrat in Freistatt
aufzustemmen. Lalo dachte an die gruseligen Geschichten, die sich seine Freunde in der Kindheit erzählt hatten und die er später beim Wein des öfteren im »Wilden Einhorn« gehört hatte. Wenn er am Leben blieb, würde er jetzt auch etwas zu erzählen haben.
»Mörder, ich bin hier, und du bleibst, wo du bist«, krächzte Lalo, als das stumpfe Hämmern endete.
»Ich gebe Euch Gold - ich habe nie mein Wort gebrochen ... Ihr könntet Euch in der Hauptstadt einrichten ...«
»Ich will dein Gold nicht.« Ich will nicht einmal mehr nach Ranke, dachte er.
»Ich helfe Euch Euer Leben zu behalten ...«, versprach Zanderei. »Coricidius wird Euch nicht glauben, wißt Ihr? Und die Höllenhunde werden aus Eurem Schädel einen Weinbecher machen. Zumindest aber werden sie Euch die Hände abschlagen .«
Unwillkürlich umschlossen Lalos Finger schützend die Handgelenke, als sause bereits eine blanke Kinge herab.
Es stimmte, alles, was er sich geschaffen hatte, war für ihn verloren. Gewiß war es besser, sich Zandereis Messer zu stellen, als zu leben, ohne je wieder einen Pinsel führen zu können. Wenn ich nicht mehr malen kann, bin ich nichts! dachte er. Es wäre auf jeden Fall mein Tod.
Aber er rührte sich nicht vom Fleck, und obwohl er vor Erschöpfung und Verzweiflung zitterte und seine eigenen Gründe nicht mehr verstand, wollte er jetzt seines schwer errungenen Sieges nicht entsagen.
»Maler, ich werde Euch Eure Seele geben .«
»Du kannst mir nur den Tod geben, Fremder. Ich lasse mich von dir nicht hereinlegen!«
»Das brauche ich nicht ...« Die Stimme klang unendlich müde. »Ich brauche Euch bloß eine Frage zu stellen: Habt Ihr schon mal ein Selbstporträt gemalt, aus des Zauberers Sicht?«
Das Schweigen streckte sich zur Ewigkeit, während Lalo zu verstehen suchte. Er spürte ein feines Erzittern des Bodens. Es verriet ihm, daß die Gezeiten zu wechseln begannen. Was meinte Zanderei? Dutzendweise hatte er Selbstporträts gemalt, wenn er niemanden finden konnte, der ihm Modell stand ...
... damals, vor der Zeit, als Enas Yorl ihn gelehrt hatte, die Seele zu malen ...
Ich war beschäftigt, beantwortete er in Gedanken die Frage, und dann gestand er es sich selbst ein: Ich hatte Angst davor.
»Was werdet Ihr auf der Leinwand sehen, wenn Ihr meinen Tod verursacht habt?« Die Stimme echote seine Furcht.
»Hör auf! Laß mich in Ruhe!« schrie Lalo laut. Er hörte, wie eine tiefe Stimme auf der Straße, in die die Gasse mündete, Befehle brüllte, und sah kurz das Flackern vorbeieilender Laternen, deren Schein im Mondlicht bleich wirkte.
In wenigen Minuten würde das giftige Sumpfwasser durch den unaufhaltsamen Druck der Flut aus seinem Bett getrieben werden und durch die Kanalisation Freistatts zischen, wie aufgescheuchte Schlangen, die sich auf ihr Opfer stürzen. Nur eine kurze Weile noch, dann würde Zanderei tot sein.
Wenn er verschwindet, halten sie vielleicht ihn für den Brandstifter. Und wenn die Aufregung sich gelegt hat, werde ich wieder ungestört malen können! Lalos Hand zuckte, als hielte sie einen Pinsel, doch diese Bewegung löste die Erinnerung an Zandereis Worte in ihm aus.
»Habt Ihr schon mal ein Selbstporträt gemalt?«
Lalo zitterte plötzlich heftig. Vielleicht konnte nicht einmal Enas Yorl den Fluch von ihm nehmen, den dieser Mann seiner Seele auferlegte! Er hörte die nicht ganz regelmäßigen Schritte von Männern, die versuchten, dicht beisammen auf einem holprigen Pflaster zu marschieren. Sie wurden lauter - in wenigen Augenblicken würden sie an der Gassenmündung vorbeimarschieren. Und in wenigen Augenblicken würde auch das Sumpfwasser hier sein.
»Was werdet Ihr auf der Leinwand sehen, wenn Ihr meinen Tod verursacht habt?« quälte ihn die Erinnerung.
Ohne sich seiner Entscheidung bewußt zu sein, rannte Lalo steif zum Schlangenweg.
»He - ihr! Wächter! Er hat sich im Senkloch versteckt! Hier in der Gasse!« Lalo blieb stehen, während sie berieten. Er wußte, daß sie ihn in der nassen Kleidung und unter dem Schmutz nicht erkennen konnten. Drängend winkte er ihnen, ihm zu folgen.
Schon raste er die Gasse zurück, zog mühsam den Riegel aus der Halterung und rannte weiter, bis er sich unter einer Stiege verkriechen konnte. Unter sich spürte er Erschütterungen und hörte das Rauschen und Zischen gewaltiger Wassermassen, gerade als der hölzerne Gullydeckel geöffnet wurde. Und schon war das hohle Brausen von Wasser zu vernehmen, das durch einen schmalen Schacht
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