Verrat in Paris
leider nicht möglich«, sagte Daumier. »Das Gebäude wurde mehrfach verkauft, und Monsieur Rideau hat das Land verlassen. Ich habe keine Ahnung, wo er ist.«
Beryl und Jordan schwiegen erstaunt. Das war also Daumiers Theorie, dachte Beryl. Dass ihre Mutter einen Liebhaber hatte, den sie ein- bis zweimal die Woche in der Wohnung in der Rue Myrha traf. Und dass ihr Vater es herausfand und dann erst sie und anschließend sich selbst umbrachte.
Sie sah Richard an und entdeckte etwas wie Mitgefühl in seinem Blick. Also glaubt er es auch, dachte sie. Plötzlich hasste sie ihn dafür, dass er hier war und das peinlichste Geheimnis ihrer Familie erfahren hatte.
Ein leises Piepen ertönte. Daumier griff in seine Innentasche und warf einen Blick auf seinen Pager. »Es tut mir Leid, aber ich muss gehen«, sagte er.
»Und was ist mit der geheimen Akte?« fragte Jordan. »Sie haben uns nichts zu Delphi gesagt.«
»Darüber sprechen wir später. Dieses Attentat, Sie verstehen – wir stecken hier gerade in einer Krisensituation.«
Daumier glitt aus der Nische und griff nach seiner Aktentasche. »Morgen vielleicht? In der Zwischenzeit genießen Sie Ihren Aufenthalt in Paris. Und wenn Sie hier essen wollen, empfehle ich das Stubenküken. Ganz ausgezeichnet.«
Mit einem Nicken verabschiedete er sich und verließ eilig das Restaurant.
»Na, das war ja eine klare Auskunft«, stellte Jordan frustriert fest. »Er schmeißt uns eine Bombe hin und geht selbst in Deckung. Er hat keine einzige unserer Fragen beantwortet.«
»Ich glaube, das war von Anfang an sein Plan«, spekulierte Beryl. »Uns etwas so Schreckliches mitzuteilen, dass wir nicht weiter fragen.« Sie sah Richard an. »Habe ich Recht?«
Er hielt ihrem Blick stand. »Warum fragst du mich das?«
»Weil ihr beide euch offensichtlich sehr gut kennt. Ist das Daumiers übliche Vorgehensweise?«
»Claude verrät keine Geheimnisse. Aber er hilft gern alten Freunden, und euer Onkel Hugh ist so ein alter Freund. Ich glaube, Claude handelt in eurem Interesse.«
Alte Freunde, dachte Beryl. Daumier und Onkel Hugh und Richard Wolf – sie alle verband eine rätselhafte Vergangenheit, über die sie nicht sprechen wollten. Genau so kannte sie es von Chetwynd. Geheimnisvolle Männer, die in Limousinen vorfuhren und Hugh besuchten. Manchmal schnappte Beryl ein paar Gesprächsfetzen auf, hörte Namen, deren Bedeutung sie nur vermuten konnte. Yurtschenko. Andropow. Bagdad. Berlin. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, keine Fragen zu stellen und keine Antworten zu erwarten. »Das ist nichts, worüber du dir deinen hübschen Kopf zerbrechen musst«, sagte Hugh immer zu ihr.
Aber diesmal würde sie sich nicht abwimmeln lassen. Diesmal wollte sie Antworten.
Der Kellner brachte die Speisekarte. Beryl schüttelte den Kopf. »Wir gehen«, entschied sie.
»Hast du keinen Hunger?« fragte Richard. »Claude sagt, das hier ist ein exzellentes Restaurant.«
»Hat Claude dich gebeten herzukommen?« wollte sie wissen. »Damit du uns fütterst und uns unterhältst und wir keinen Ärger machen?«
»Ich würde mich sehr freuen, wenn ich dich füttern darf. Und unterhalten.« Er lächelte sie schalkhaft an. Sie sah in seine Augen und fühlte in sich wieder die Versuchung aufsteigen.
Bleib zum Dinner,
las sie aus seinem Lächeln.
Und danach … Wer weiß? Alles ist möglich.
Sie lehnte sich zurück. »Unter einer Bedingung essen wir mit dir.«
»Und die wäre?«
»Du bist ehrlich zu uns. Keine Spielchen.«
»Ich werd’s versuchen.«
»Warum bist du in Paris?«
»Claude bat mich um einen Rat, um einen persönlichen Gefallen. Da der Gipfel vorbei ist, habe ich zugesagt. Außerdem war ich neugierig.«
»Wegen des Bombenanschlags?«
Er nickte. »›Kosmische Solidarität‹ ist mir neu. Ich versuche, immer auf dem Laufenden zu bleiben, was terroristische Gruppierungen angeht. Das ist mein Geschäft.« Er hielt ihr eine Speisekarte hin und lächelte. »Und das, Miss Tavistock, ist die reine Wahrheit.«
Sie sah ihn an und konnte kein Anzeichen von Unehrlichkeit entdecken. Trotzdem sagte ihr Instinkt ihr, dass sich hinter diesem Lächeln mehr verbarg.
»Du glaubst mir nicht«, sagte er.
»Woher willst du das wissen?«
»Wir essen also nicht zusammen?«
Bis zu diesem Moment hatte Jordan ihnen bei ihrem Schlagabtausch lediglich zugehört. Jetzt mischte er sich ungeduldig ein. »Natürlich essen wir mit Ihnen. Denn ich habe Hunger, Beryl, und ich verlasse diesen Tisch nicht, ohne etwas
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