Verrat in Paris
Spaziergang?« Ein lautes Schnarchen war die Antwort.
Beryl drehte sich um und sah mit Erstaunen, dass ihr Bruder quer über der Rückbank lag. Eine schlaflose Nacht und zwei Gläser Wein zum Abendessen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. »Ich schätze, das heißt nein«, sagte sie lachend.
»Dann eben nur wir beide?«
Diese vorsichtig geäußerte Einladung ließ sie wieder sanft erschauern. Schließlich, dachte sie, war sie in Paris …
»Ein paar Schritte gern«, sagte sie zustimmend. »Aber es ist besser, wenn wir Jordan vorher ins Bett bringen.«
»Zu Ihren Diensten«, erwiderte Richard bereitwillig. »Erster Halt, das Ritz.«
Jordan schnarchte den ganzen Weg zum Hotel.
Sie spazierten durch die Tuilerien, auf einem geschotterten Pfad zwischen den streng angelegten Gärten und an Statuen vorbei, die im Licht der Straßenlaternen geisterhaft weiß schimmerten.
»Da sind wir wieder«, sagte Richard, »bei einem Gartenspaziergang. Es wäre doch schön, wenn wir einen Irrgarten fänden, in dessen Mitte eine kleine steinerne Bank steht.«
»Warum?« fragte sie lächelnd. »Hoffst du auf eine Wiederholung?«
»Mit einem etwas anderen Ende. Weißt du eigentlich, dass ich fünf Minuten brauchte, bis ich den Weg aus dem Irrgarten heraus gefunden hatte?«
»Ich weiß.« Sie lachte. »Ich stand an der Haustür und habe die Minuten gezählt. Aber fünf Minuten, das ist gar nicht so schlecht. Obwohl andere Männer schneller waren.«
»Ach so, das ist deine Methode, einen Mann zu testen? Du als das Stück Käse, das im Irrgarten als Köder ausliegt …«
»Und du die Maus.«
Dann lachten sie beide, und ihre Stimmen hallten durch die Nacht.
»Und war meine Leistung … annehmbar?« fragte er. »Durchschnitt.«
Er machte einen Schritt auf sie zu, sein Lächeln schimmerte in der Dunkelheit. »Nicht besser als Durchschnitt?«
»Na gut, du hast Recht. Immerhin war es dunkel.«
»Das stimmt.« Er kam noch näher, so dass sie ihren Kopf heben musste, wenn sie ihn ansehen wollte. Fast spürte sie die Hitze seines Körpers. »Sehr dunkel«, flüsterte er.
»Vielleicht warst du ja auch ein wenig durcheinander?«
»Sehr sogar.«
»Das
war
aber auch ein gemeiner Trick von mir …«
»Dafür sollte ich dich bestrafen.«
Er streckte die Hände aus und berührte ihr Gesicht. Der Geschmack seiner Lippen schickte einen erregenden Schauer durch ihren Körper. Wenn das meine Strafe ist, dachte sie, begehe ich dasselbe Verbrechen wieder … Seine Finger glitten durch ihr Haar und verfingen sich darin, je inniger er sie küsste. Ihre Knie wurden weich, aber es war ihr egal. Sie hörte ihn lustvoll stöhnen, und ihr war klar, dass diese Küsse gefährlich waren, für sie und für ihn. Doch auch das war ihr egal – sie war zu allem bereit.
Und dann hielt er ganz plötzlich inne.
Gerade hatte er sie noch geküsst, jetzt erstarrten seine Hände auf ihrem Gesicht. Aber er löste sich nicht von ihr. Sie spürte, dass sich sein Körper anspannte, und er hielt sie fest im Arm. Seine Lippen glitten zu ihrem Ohr.
»Geh los«, flüsterte er. »Richtung Concorde.«
»Was?«
»Beweg dich. Aber ganz normal. Ich nehme dich an der Hand.«
Sie sah ihm ins Gesicht und bemerkte, dass er irgendetwas wahrgenommen hatte. Sie schluckte die Fragen herunter, die sie gern gestellt hätte, und ließ sich von ihm an die Hand nehmen. Sie drehten sich um und schlenderten gemächlich in Richtung Place de la Concorde. Er machte keinerlei Anstalten, ihr etwas zu erklären, aber daran, wie er ihre Hand umklammerte, spürte sie, dass etwas nicht in Ordnung war, dass das kein Spiel war. Sie spazierten wie ein ganz normales Liebespaar durch die Gärten, vorbei an den dunklen Blumenbeeten und den geisterhaft anmutenden Statuen. Beryl nahm nach und nach die Geräusche um sie herum wahr: den entfernten Verkehrslärm, den Wind in den Bäumen, ihre Schritte auf dem Schotterweg …
Und die Schritte von jemand anderem, irgendwo hinter ihnen.
Nervös drückte sie seine Hand. Er erwiderte ihren Händedruck, und sofort verschwand ihre Angst. Ich kenne diesen Mann erst einen Tag, dachte sie, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich mich auf ihn verlassen kann.
Richard beschleunigte den Schritt unmerklich. Der Fremde folgte ihnen noch immer. Sie hielten sich rechts und durchquerten den Park in Richtung Rue de Rivoli. Der Verkehrslärm wurde lauter und übertönte die Schritte ihres Verfolgers. Jetzt wurde es am gefährlichsten – sie verließen gleich die
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