Verrat in Paris
erledigen könntest, würde das die Sache sicher beschleunigen.«
»Dafür kann ich nicht garantieren.«
»Ich habe verstanden. Ach, und eins noch«, sagte Richard. »Wir suchen einen Hugh Tavistock. Er scheint verschwunden zu sein. Hast du was davon gehört?«
»Nein, aber ich werde mal bei meinen Quellen nachhören. Noch was?«
»Das sag ich dir dann.«
Sakaroff grunzte. »Ich habe befürchtet, dass du das sagst.«
Richard hängte auf. Als er die Telefonzelle verließ, sah er sich in der U-Bahn-Station um. Ihm fiel nichts Verdächtiges auf, nur die üblichen Nachtschwärmer – Händchen haltende Paare, Studenten mit Rucksäcken.
Die Bahn nach Creteil-Préfecture rollte ein. Richard stieg ein, fuhr drei Stationen und stieg wieder aus. Er wartete ein paar Minuten auf dem nächsten Bahnsteig und betrachtete die Leute. Niemand kam ihm bekannt vor. Er war erleichtert, dass er nicht verfolgt wurde, und stieg in die Bahn nach Bobigny-Picasso. An der Haltestelle Gare de l’Est stieg er aus, verließ die U-Bahn-Station und machte sich eilig auf den Weg zur Pension.
Beryl war noch wach und saß in einem Sessel am Fenster.
Sie hatte das Licht ausgeschaltet, und in der Dunkelheit war sie nicht mehr als eine Silhouette vor dem nächtlichen Himmel. Er schloss die Tür und verriegelte sie. »Beryl«, begrüßte er sie. »Alles in Ordnung?«
Er dachte, dass er sie nicken sah. Oder zitterte nur ihr Kinn, als sie tief Luft holte und ein leises Seufzen von sich gab?
»Hier sind wir sicher«, sagte er. »Zumindest für heute Nacht.«
»Und morgen?« kam ihre gemurmelte Antwort. »Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es so weit ist.«
Sie lehnte sich in den Sesselkissen zurück und starrte vor sich hin. »War es so, Richard? Als du noch beim Geheimdienst warst? Ein Leben von Tag zu Tag, ohne dass man es wagt, an Morgen zu denken?«
Er ging langsam zu ihrem Sessel. »Manchmal war es so. Manchmal wusste ich nicht, ob es ein Morgen für mich geben würde.«
»Vermisst du dieses Leben?« Sie sah ihn an. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er spürte, dass sie ihn betrachtete.
»Dieses Leben habe ich hinter mir gelassen.«
»Aber vermisst du es? Die Aufregung? Die Gefahren?«
»Beryl. Beryl, bitte.« Er nahm ihre Hand; sie fühlte sich an wie ein Klumpen Eis.
»Hat es dir denn kein bisschen Spaß gemacht?«
»Nein.« Er zögerte. Dann verbesserte er sich: »Doch. Eine kurze Zeit lang. Als ich sehr jung war. Bevor es alles zu real wurde.«
»So wie heute Abend. Heute Abend war es real für mich. Als ich den jungen Mann da liegen sah …« Sie schluckte.
»Heute Mittag haben wir zusammen gegessen, verstehst du, zu dritt. Sie aßen Kalb. Dazu eine Flasche Wein und hinterher Eis. Und ich habe sie zum Lachen gebracht …« Sie sah zur Seite.
»Am Anfang kommt es einem vor wie ein Spiel«, sagte Richard. »Ein Fantasiekrieg. Doch dann merkt man irgendwann, dass die Kugeln echt sind. Und die Menschen auch.«
Er hielt ihre Hand in seiner und wünschte sich, er könnte sie wärmen. Ihre Hand und sie selbst. »Genau das ist mir passiert. Plötzlich war alles so echt. Und da war eine Frau …«
Sie saß ganz still, wartete ab, hörte zu. »Hast du sie geliebt?« fragte sie leise.
»Nein, ich habe sie nicht geliebt. Aber ich mochte sie, sehr sogar. Es war in Berlin, vor dem Fall der Mauer. Wir versuchten, einen Überläufer in den Westen zu schmuggeln. Und meine Partnerin ist in eine Falle geraten. Der Wachtposten eröffnete sofort das Feuer.« Er hob Beryls Hand an seine Lippen und küsste sie, hielt sie fest.
»Hat sie es … nicht geschafft?«
Er schüttelte den Kopf. »Und plötzlich war das Ganze kein Spiel mehr. Ich sah ihren Körper da im Niemandsland liegen. Und ich konnte nicht zu ihr. Ich musste sie dort liegen lassen, für die anderen …« Er ließ ihre Hand los. Er ging zum Fenster und sah hinaus auf die Lichter von Paris. »Danach hörte ich auf.
Ich wollte nicht noch einen Tod auf mein Gewissen laden. Ich wollte nicht länger … verantwortlich sein.« Er drehte sich zu ihr um. Im schwachen Licht der Stadt sah ihr Gesicht blass aus, beinahe durchscheinend.
»Deshalb fällt mir das hier so schwer, Beryl. Weil ich weiß, was passieren kann, wenn ich einen Fehler mache. Weil ich weiß, dass dein Leben davon abhängt, was ich als Nächstes tun werde.«
Eine Weile saß Beryl nur still da und beobachtete ihn. Sie spürte seinen Blick in der Dunkelheit. Wie immer knisterte es zwischen ihnen. Aber heute
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