Verrat in Paris
neuer Trick, Richard?« fragte Jordan lachend.
»Oder außersinnliche Wahrnehmung?«
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»Sie ist Agentin beim französischen Geheimdienst«, erklärte Richard. »Schutzüberwachung, das ist alles.«
Beryl seufzte erleichtert. »Ach, deshalb werden wir verfolgt.
Und ich war schon halb wahnsinnig vor Angst.«
»Das ist auch durchaus angemessen«, erwiderte Richard. »Der Mann, der uns verfolgt hat, arbeitet nämlich nicht für Daumier.«
»Aber du sagtest doch gerade …«
»Daumier hat heute Abend nur einen Agenten auf uns
angesetzt. Diese Colette. Offensichtlich hat sie Jordan beschattet.«
»Und wer hat uns dann verfolgt?« wollte Beryl wissen.
»Ich habe keine Ahnung.«
Schweigen. Dann fragte Jordan gereizt: »Habe ich was verpasst? Warum werden wir jetzt alle verfolgt? Und was hat Richard damit zu tun?«
»Richard«, sagte Beryl verkrampft, »war nicht ganz ehrlich mit uns.«
»In Bezug auf was?«
»Er vergaß zu erwähnen, dass er 1973 hier in Paris war. Er kannte Mum und Dad.«
Jordan sah Richard an. »Und deshalb sind Sie jetzt hier?«
fragte er leise. »Um uns davon abzuhalten, die Wahrheit zu erfahren?«
»Nein«, sagte Richard. »Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass die Wahrheit Sie beide nicht das Leben kostet.«
»Ist die Wahrheit denn so gefährlich?«
»Offensichtlich ist jemand so besorgt, dass er Sie beide verfolgen lässt.«
»Dann glauben Sie auch nicht, dass es Mord und Selbstmord war?« erkundigte sich Jordan.
»Wenn es so einfach wäre – wenn Bernard einfach Madeline 74
erschossen und sich dann selbst das Leben genommen hätte –, würde das nach so vielen Jahren keinen mehr interessieren. Aber offenbar interessiert es doch jemanden. Und er – oder sie –
beobachtet jeden Ihrer Schritte.«
Beryl war außergewöhnlich schweigsam. Sie setzte sich aufs Bett. Das hochgesteckte Haar begann sich zu lösen, und die ersten seidigen Strähnen fielen ihr in den Nacken. Einmal mehr wurde sich Richard ihrer Ähnlichkeit mit Madeline bewusst. Die Frisur und dieses Seidenkleid. Jetzt erkannte er das Kleid – es gehörte tatsächlich ihrer Mutter.
Er beschloss, ihnen die Wahrheit zu sagen. »Ich habe es nie geglaubt«, sagte er. »Keine Sekunde lang habe ich geglaubt, dass Bernard sie erschossen hat.«
Langsam schaute Beryl zu ihm hinüber. Die Vorsicht und das Misstrauen in ihrem Blick erweckten in ihm den Wunsch, ihr Vertrauen zu erlangen. Doch so weit war sie noch nicht, dass sie ihm vertrauen würde. Vielleicht würde sie nie so weit sein.
»Wenn er sie nicht erschossen hat«, fragte sie, »wer war es dann?«
Richard ging auf sie zu. Sanft streichelte er ihr Gesicht.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber ich werde dir helfen, es herauszufinden.«
Nachdem Richard gegangen war, wandte sich Beryl ihrem Bruder zu. »Ich traue ihm nicht«, sagte sie. »Er hat uns zu oft angelogen.«
»Er hat uns nicht wirklich angelogen«, stellte Jordan fest. »Er hat nur ein paar Tatsachen verschwiegen.«
»Oh, natürlich. Zufälligerweise hat er uns verschwiegen, dass er Mum und Dad kannte. Und dass er in Paris war, als sie starben. Jordie, er könnte es selbst gewesen sein!«
»Er scheint ziemlich gut mit Daumier befreundet zu sein.«
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»Ja und?«
»Onkel Hugh vertraut Daumier.«
»Und das heißt, dass wir Richard Wolf trauen müssen?«
Sie schüttelte den Kopf und lachte. »Du bist wohl doch etwas erschöpfter, als du denkst.«
»Und du bist wohl doch verknallter, als du denkst«, konterte er. Gähnend machte er sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer.
»Was soll denn das heißen?« wollte sie wissen.
»Nur, dass deine Gefühle für diesen Mann offensichtlich immer stärker werden. Oder warum kämpfst du die ganze Zeit gegen ihn an?«
Sie folgte ihm zur Verbindungstür. »Immer stärker werden?«
fragte sie ungläubig.
»Siehst du?« Er schnaufte ein paarmal laut und grinste.
»Träum süß, Schwesterlein. Schön, dass du wieder mit im Spiel bist.«
Dann schloss er die Tür.
Als Richard in Daumiers Wohnung ankam, war der Franzose noch wach, aber er trug schon seinen Morgenmantel und Pantoffeln. Die neuesten Erkenntnisse über den Anschlag auf das Haus der St. Pierres lagen auf dem Küchentisch, daneben standen ein Teller mit Würstchen und ein Glas Milch. Auch vierzig Jahre beim französischen Geheimdienst hatten nichts an seiner Gewohnheit geändert, in der Nähe des Kühlschranks zu arbeiten.
Daumier zeigte auf die Papiere: »Mir ist das ein Rätsel. Eine
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