Verrat in Paris
Hauseingang vorbeigleiten. Die Schritte entfernten sich auf der Straße und verschwanden schließlich.
Richard schaute kurz die Straße hinunter, dann drückte er 64
Beryls Hand. »Alles klar«, flüsterte er. »Lass uns
verschwinden.«
Sie bogen auf die Castiglione und hörten erst auf zu rennen, als sie das Hotel erreicht hatten. Als sie sicher in ihrer Suite angekommen waren und Richard die Tür abgeschlossen hatte, fand sie wieder Worte.
»Was war das denn?« wollte sie wissen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es auch nicht.«
»Glaubst du, jemand wollte uns ausrauben?« Sie ging in Richtung Telefon. »Ich sollte vielleicht besser die Polizei rufen.«
»Es ging ihm nicht um unser Geld.«
»Was?« Sie sah ihn überrascht an.
»Denk doch mal nach. Er folgte uns selbst über die Rue de Rivoli, die voller Menschen war. Jeder normale Dieb hätte aufgegeben und wäre in den Park zurückgegangen. Aber er nicht. Er blieb an uns dran.«
»Ich habe ihn nicht mal gesehen! Woher weißt du denn, dass
…«
»Ein Mann mittleren Alters, klein und stämmig. Ein Typ, an den man sich nicht erinnert.«
Sie starrte ihn an, und ihre Aufregung wurde wieder stärker.
»Was sagst du da, Richard? Wir beide wurden gezielt verfolgt?«
»Ja.«
»Aber wieso sollte dich jemand verfolgen?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen.«
»Ich bin doch völlig uninteressant.«
»Vielleicht hat es damit zu tun, warum du nach Paris gekommen bist.«
»Das ist doch lediglich eine Familienangelegenheit.«
»Offensichtlich nicht. Immerhin wirst du von fremden 65
Männern durch die Stadt verfolgt.«
»Woher willst du wissen, dass nicht du verfolgt wurdest? Du arbeitest schließlich für den CIA!«
»Falsch. Ich arbeite für mich selbst.«
»Das kannst du mir nicht erzählen! Ich bin praktisch im MI 6
groß geworden. Ich rieche euch Geheimdienstler
kilometerweit!«
»Ach ja?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Und der Geruch hat dich nicht abgeschreckt?«
»Das wäre vielleicht besser gewesen.«
Er lief jetzt durchs Zimmer, rastlos wie ein Tier, schloss die Fenster, zog die Vorhänge zu. »Da ich deiner geschulten Nase offensichtlich nichts vormachen kann, kann ich es auch zugeben. Mein Job ist etwas weiter gefasst, als ich dir gegenüber eingeräumt habe.«
»Na so was.«
»Trotzdem glaube ich, dass der Mann dich verfolgt hat.«
»Und aus welchem Grund, bitte?«
»Weil du in einem Minenfeld stocherst. Du verstehst das nicht, Beryl. Wenn deine Eltern umgebracht wurden, ging es dabei um mehr als nur um einen Sexskandal.«
»Moment mal.« Sie ging auf ihn zu und sah ihn unverwandt an. »Was weißt du darüber?«
»Ich wusste, dass du nach Paris kommst.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Claude Daumier. Er rief mich in London an und sagte, dass Hugh sich Sorgen macht. Dass jemand auf dich und Jordan aufpassen soll.«
»Du bist also unser Kindermädchen?«
Er lachte. »So kann man’s auch sagen.«
»Und was weißt du über meine Eltern?«
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An seinem Zögern merkte sie, dass er seine Antwort sorgfältig abwog. Sie erwartete, dass er sie gleich anlügen würde.
Stattdessen überraschte er sie mit der Wahrheit. »Ich kannte sie beide«, gestand er. »Ich war hier in Paris, als es passierte.«
Diese Enthüllung erstaunte sie. Sie zweifelte keinen Moment lang daran, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte – warum sollte er diese Geschichte erfinden?
»Es war mein erster Auslandseinsatz«, sagte er. »Ich dachte, dass ich mit Paris echt das große Los gezogen hätte. Denn die meisten Anfänger landen irgendwo im Nirgendwo. Aber ich kam nach Paris. Und hier traf ich Madeline und Bernard.« Er sank müde in einen Sessel. »Es ist erstaunlich«, sagte er und studierte Beryls Gesicht, »wie sehr du ihr ähnelst. Dieselben grünen Augen, dasselbe schwarze Haar. Allerdings hatte sie es meist zu einem losen Knoten gebunden. Doch immer rutschten ein paar Strähnen raus und fielen ihr dann in den Nacken …«
Die Erinnerung ließ ihn lächeln. »Bernard war verrückt nach ihr
– so wie jeder Mann, der sie kennen lernte.«
»Du auch?«
»Ich war damals erst 22. Sie war die faszinierendste Frau, die ich je getroffen hatte.« Ihre Blicke trafen sich. Leise fügte er hinzu: »Aber da kannte ich ihre Tochter noch nicht.«
Sie sahen sich an, und Beryl fühlte sich wieder stark zu ihm hingezogen, zu diesem Mann, dessen Küsse sie schwindelig machten, dessen Berührung einen Stein schmelzen lassen konnte. Zu diesem Mann, der am Anfang
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