Verrat in Paris
das?«
»Ein Pflegeheim.«
»Und hier lebt Inspektor Broussard?«
»Schon seit etlichen Jahren«, antwortete Richard und sah mit einem Blick des Bedauerns an dem Gebäude hoch. »Seit seinem Schlaganfall.«
Dem Foto an der Wand konnte man entnehmen, dass Ex-
Chefinspektor Broussard früher ein eindrucksvoller Mann gewesen war. Das Bild zeigte einen bulligen Franzosen mit gezwirbeltem Schnauzbart und einer wahren Löwenmähne, der majestätisch auf den Treppen einer Pariser Polizeistation posierte.
Er hatte wenig Ähnlichkeit mit der eingefallenen Gestalt, die halb gelähmt vor ihnen im Bett lag.
Madame Broussard huschte durch das Zimmer und sprach Englisch mit der präzisen Grammatik einer ehemaligen Englischlehrerin. Sie schüttelte ihrem Mann das Kissen auf, 82
kämmte ihn, wischte ihm die Spucke vom Kinn. »Er erinnert sich an alles«, sagte sie. »An jeden Fall, an jeden Namen. Aber er kann nicht sprechen und keinen Stift halten. Und genau das frustriert ihn! Deshalb erlaube ich eigentlich keinen Besuch. Er würde so gern sprechen können, doch er kann die Worte nicht formulieren. Nur manchmal ein paar. Und das macht ihn wütend! Manchmal, wenn Freunde da waren, ist er tagelang wütend.«
Sie ging ans Kopfende des Bettes, als wollte sie ihn schützen.
»Sie stellen ihm nur wenige Fragen, haben Sie verstanden?
Wenn er anfängt, sich zu ärgern, müssen Sie sofort gehen.«
»Wir verstehen«, versicherte Richard. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Beryl und Jordan sahen, wie er die Polizeiakte aufklappte und die Fotos vom Tatort auf die Bettdecke legte, damit Broussard sie sehen konnte. »Ich weiß, dass Sie nicht sprechen können«, begann er, »aber sehen Sie sich diese Bilder bitte an. Nicken Sie, wenn Sie sich an den Fall erinnern.«
Madame Broussard übersetzte für ihren Mann. Er starrte das erste Foto an, das Madelines und Bernards Leichen zeigte. Sie lagen da wie ein Liebespaar, um sie herum eine Blutlache.
Ungeschickt berührte Broussard das Foto, seine Finger ruhten auf Madelines Gesicht. Seine Lippen formten ein Wort.
»Was sagt er?« erkundigte sich Richard.
» La Belle. Eine schöne Frau«, antwortete Madame Broussard.
»Sehen Sie? Er erinnert sich.«
Der alte Mann sah sich jetzt die anderen Fotos an, seine linke Hand begann vor Aufregung zu zittern. Er versuchte mit aller Macht zu sprechen, doch heraus kamen nur unverständliche Laute. Madame Broussard beugte sich vor, um ihn zu verstehen.
Erstaunt schüttelte sie den Kopf.
»Wir haben den Bericht gelesen«, sagte Beryl, »den er vor zwanzig Jahren geschrieben hat. Er kam zu dem Schluss, dass es 83
sich um Mord und Selbstmord handelte. Hat er das wirklich geglaubt?«
Wieder übersetzte Madame Broussard.
Broussard musterte Beryl eindringlich. Er wirkte erstaunt, beinahe so, als würde er sie wiedererkennen.
Seine Frau wiederholte die Frage. Glaubte er, dass es sich um Mord und Selbstmord gehandelt hatte?
Langsam schüttelte Broussard den Kopf.
Jordan fragte: »Versteht er die Frage?«
»Natürlich!« fuhr Madame Broussard ihn an. »Ich sagte Ihnen doch, dass er alles versteht.«
Der Mann tippte jetzt auf eines der Fotos, als ob er etwas zeigen wollte. Seine Frau fragte ihn etwas auf Französisch.
Daraufhin tippte er noch stärker auf das Bild.
»Versucht er, uns etwas zu zeigen?« fragte Beryl.
»In der Ecke des Fotos«, sagte Richard. »Da sieht man einen leeren Flur.«
Broussards Körper zitterte, so sehr quälte er sich damit, sich verständlich zu machen. Seine Frau beugte sich wieder zu ihm, um seine Worte zu entschlüsseln. Sie schüttelte den Kopf. »Es ergibt keinen Sinn.«
»Was hat er gesagt?« fragte Beryl.
» Serviette. Also Serviette oder Handtuch. Ich verstehe das nicht.« Sie nahm ein Handtuch vom Waschbecken und hielt es ihrem Mann hin. » Serviette de toilette? «
Verärgert schüttelte er den Kopf und schlug das Handtuch weg.
»Ich weiß nicht, was er meint«, sagte Madame Broussard seufzend.
»Aber ich vielleicht«, warf Richard ein. Er beugte sich zu Broussard hinunter. » Porte documents? «fragte er.
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Broussard seufzte erleichtert auf und sank ins Kissen zurück.
Er nickte erschöpft.
»Das hat er also versucht zu sagen«, sagte Richard. » Serviette porte documents. Aktentasche.«
»Aktentasche?« wiederholte Beryl. »Glaubst du, er meint die mit der geheimen Akte?«
Richard sah Broussard fragend an. Der Mann war erschöpft, sein Gesicht sah grau aus vor dem
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