Verrat in Paris
den Kopf. »Colette vielleicht.«
»Aber Sie sind nicht sicher?«
»Als wir zum Hotel fuhren, schaute sie dauernd in den Rückspiegel. Sie sagte, sie würde schon Gespenster sehen. Ich schaute auch raus, sah allerdings nur den Verkehr.«
Niedergeschlagen wandte er sich an Daumier. »Ich fühle mich wirklich schuldig. Ich denke dauernd, wenn ich besser aufgepasst hätte, wenn ich nicht so sehr …«
»Sie konnte sich selbst schützen«, unterbrach ihn Daumier.
»Sie hätte darauf gefasst sein müssen.«
»Das verstehe ich ja gerade nicht«, sagte Jordan. »Es traf sie offenbar total unvorbereitet.« Er sah auf die Uhr. »Es ist noch eine Weile hell. Wir könnten zurück zum Boulevard Saint-Germain gehen und jeden meiner Schritte nachvollziehen.
Vielleicht erinnere ich mich an etwas.«
Sein Vorschlag wurde mit betretenem Schweigen quittiert.
»Jordie«, sagte Beryl sanft, »das geht nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Du kommst nicht raus.«
»Aber sie müssen mich rauslassen! Ich war es nicht!« Er sah Daumier an. Bestürzt sah er, dass der Franzose bedauernd den Kopf schüttelte.
Richard sagte: »Wir tun alles, was in unserer Macht steht, Jordan. Wir kriegen Sie schon hier raus.«
»Hat schon jemand Onkel Hugh angerufen?«
»Er ist nicht in Chetwynd«, sagte Beryl. »Keiner weiß, wo er 110
ist. Er ist offensichtlich gestern Abend weggefahren, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Wir gehen gleich zu Reggie und Helena, sie haben Freunde bei der Botschaft. Vielleicht können die was erreichen.«
Schockiert von den Neuigkeiten, stand Jordan im Chaos von drängelnden Häftlingen und Polizisten. Ich bin im Gefängnis und Onkel Hugh ist verschwunden, dachte er. Dieser Albtraum wird immer schlimmer.
»Und die Polizei glaubt, ich bin schuldig?« wagte er zu fragen.
»Leider«, sagte Daumier.
»Und Sie, Claude? Was glauben Sie?«
»Er weiß, dass du unschuldig bist!« erklärte Beryl. »Das wissen wir alle. Gib uns nur Zeit, damit wir das aufklären können.«
Jordan drehte sich um zu seiner Schwester, seiner schönen, eigensinnigen Schwester. Sie war der Mensch, der ihm am nächsten stand. Er nahm seine Uhr ab und legte sie ihr in die Hand.
Sie sah ihn fragend an. »Was soll das?«
»Sicher ist sicher. Ich bin vielleicht etwas länger hier. Ich will, dass du den nächsten Flieger nach London nimmst und nach Hause fährst. Verstehst du?«
»Ich fahre nirgendwo hin.«
»Oh doch. Richard wird sich schon darum kümmern.«
»Und wie will er das anstellen?« blaffte sie ihn an. »Mich an den Haaren ins Flugzeug schleifen?«
»Wenn es nötig ist.«
»Du brauchst mich hier!«
»Beryl.« Er nahm sie an den Schultern und sprach leise und vernünftig auf sie ein. »Eine Frau wurde ermordet. Und sie war dafür ausgebildet, sich selbst zu verteidigen.«
»Das bedeutet nicht, dass ich die Nächste bin.«
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»Es bedeutet, dass jemand Angst hat und zurückschlagen wird.
Du musst nach Hause fahren.«
»Und dich hier lassen?«
»Claude ist ja hier. Und Reggie …«
»Also, ich fliege nach Hause und lasse dich hier im Knast verschimmeln?« Sie schüttelte vehement den Kopf. »Du glaubst wirklich, das würde ich tun?«
»Wenn dir an mir liegt, tust du’s.«
Sie schob ihr Kinn vor. »Gerade weil mir an dir liegt«, sagte sie, »würde ich das nie tun.« Sie umarmte ihn heftig und voller Entschiedenheit. Dann wischte sie sich die Tränen weg und drehte sich zu Richard um. »Wir gehen. Je eher wir mit Reggie sprechen, desto schneller ist die Sache geklärt.«
Jordan sah seiner Schwester hinterher. Das war mal wieder typisch, dachte er, als sie sich eigensinnig ihren Weg durch die Menge aus Taschendieben und Prostituierten bahnte. »Beryl!«
rief er. »Flieg nach Hause! Sei doch kein Idiot!«
Sie blieb stehen und sah ihn an. »Ich kann nichts dafür, Jordie.
Liegt in der Familie.« Dann drehte sie sich um und verschwand.
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6. Kapitel
»Dein Bruder hat Recht«, sagte Richard. »Du solltest nach Hause fliegen.«
»Fang du nicht auch noch an«, zischte sie ihn über die Schulter an.
»Ich fahr dich zurück ins Hotel, damit du packen kannst. Dann bringe ich dich zum Flughafen.«
»Du und welche Armee?«
»Kannst du nicht einmal einen Ratschlag annehmen?«
Richard schien ungehalten.
Sie fuhr herum und baute sich auf dem überfüllten Bürgersteig vor ihm auf. »Ratschlag ja, Anweisung nein.«
»Okay, dann hör mir mal einen Moment zu. Es war schon Wahnsinn, überhaupt nach Paris zu kommen. Ich
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