Verrat in Paris
in Stahlblau, und eine Lederjacke.
»Bist du fertig, Mum?« fragte er Nina.
Sofort stand Nina auf. »Mehr als das«, antwortete sie in einem beleidigten Tonfall und ging in Richtung Tür. Dort blieb sie kurz stehen und sah Marie noch einmal an. »Ich spreche als Freundin«, sagte sie. »Ich finde, ihr solltet in Paris bleiben.« Sie nahm Anthonys Arm und rauschte ab.
»Um Himmels willen, Marie«, murmelte Helena nach einer Weile. »Warum gibst du dich noch mit dieser Frau ab?«
Marie sah winzig aus in ihrem Bett. Sie zuckte die Schultern.
Sie sind sich beide so gleich, dachte Beryl und verglich Marie St. Pierre und Helena. Beide sind keine Schönheiten, beide sind schon etwas älter und mit Männern verheiratet, die sich nicht mehr für sie interessieren.
»Ich finde, du bist eine Heilige, dass du diese Schlampe überhaupt reingelassen hast«, sagte Helena. »Wenn es nach mir ginge …«
»Man muss ja friedlich sein«, sagte Marie nur.
104
Sie versuchten, sich zu viert weiter zu unterhalten, aber immer wieder entstanden lange Pausen. Und über all den Gesprächen über die Explosion und die ruinierten Möbel, über die zerstörten Kunstgegenstände und beschädigten Familienerbstücke schwebte etwas anderes, etwas Unausgesprochenes. Dass es zusätzlich zu den materiellen Verlusten noch einen Verlust gab, der schwerer wog. Man musste Marie St. Pierre nur in die Augen sehen, um zu wissen, dass ihr Leben zerstört war.
Selbst als ihr Mann Philippe auftauchte, wurde Marie nicht munterer. Vielmehr schien sie vor seinem Kuss
zurückzuweichen. Sie wandte das Gesicht ab und sah zur Tür, die sich erneut öffnete.
Claude Daumier kam herein, sah Beryl und blieb überrascht stehen. »Sie sind hier?«
»Wir haben auf Sie gewartet«, sagte Beryl.
Daumier sah Richard an, dann wieder Beryl. »Ich habe euch schon gesucht.«
»Was ist denn los?« fragte Richard.
»Die Sache ist … etwas delikat.« Daumier bedeutete ihnen, ihm zu folgen. »Es wäre am besten«, sagte er, »wenn wir das unter uns besprechen.«
Sie folgten ihm hinaus auf den Gang und gingen an der Schwesternstation vorbei. In einer ruhigen Ecke blieb Daumier stehen und wandte sich Richard zu.
»Gerade hat mich die Polizei angerufen. Man hat Colette tot in ihrem Wagen gefunden. Nahe dem Place Vendôme.«
»Colette?« sagte Beryl. »Die Agentin, die Jordan
beschattete?«
Daumier nickte grimmig.
»Oh Gott«, murmelte Beryl. »Jordie …«
»Er ist in Sicherheit«, sagte Daumier schnell. »Ich versichere Ihnen, er ist nicht in Gefahr.«
105
»Aber wenn man sie getötet hat, könnten sie …«
»Er wurde festgenommen«, klärte Daumier sie auf. Sein leicht mitleidiger Blick ruhte auf der schockierten Beryl.
»Wegen Mordverdachts.«
Lange nachdem alle anderen gegangen waren, saß Helena noch bei Marie im Krankenzimmer. Eine Zeit lang schwiegen sie; gute Freundinnen müssen nicht immer viele Worte machen.
Aber dann hielt es Helena nicht länger aus. »Es ist unerträglich«, sagte sie. »Das kannst du nicht zulassen.«
Marie seufzte. »Was soll ich denn machen? Sie hat so viele Freunde, kennt so viele Leute, die sie gegen mich aufstacheln könnte. Und gegen Philippe …«
»Aber du musst etwas tun. Irgendwas. Weigere dich, mit ihr zu sprechen.«
»Ich habe keine Beweise. Nie habe ich Beweise.«
»Du brauchst keine Beweise. Benutz deine Augen! Sieh dir doch an, wie sie miteinander umgehen. Immer schwirrt sie um ihn herum, lächelt ihn an. Vielleicht hat er dir gesagt, dass es vorbei ist, aber man sieht, dass es nicht so ist. Wo ist er denn überhaupt? Du liegst im Krankenhaus und er besucht dich fast nie. Und wenn doch, gibt er dir einen Schmatz auf die Wange und verschwindet gleich wieder.«
»Er hat so viel zu tun. Der Wirtschaftsgipfel …«
»Natürlich«, schnaubte Helena verächtlich. »Männer haben immer so furchtbar wichtige Dinge zu tun!«
Marie begann zu weinen, sie schluchzte nicht, sie weinte lautlos, bemitleidenswert. Still zu leiden – das war typisch für sie. Nie beschwerte sie sich oder protestierte, ihr Herz brach im Stillen. Für die Liebe der Männer ertragen wir diesen Schmerz, dachte Helena bitter.
Marie flüsterte: »Es ist noch schlimmer, als du denkst.«
106
»Was kann denn noch schlimmer sein?«
Marie antwortete nicht. Sie sah ihre Schürfwunden auf dem Arm an. Es waren nur ein paar kleine Kratzer, aber in ihrem Blick spiegelte sich echte Verzweiflung.
Das ist es also, dachte Helena erschrocken. Sie glaubt,
Weitere Kostenlose Bücher