Verrat in Paris
verstehe durchaus, warum du das getan hast. Du wolltest die Wahrheit über den Tod deiner Eltern herausfinden. Aber es hat sich einiges verändert, Beryl. Eine Frau wurde ermordet. Das ist eine ganz andere Liga.«
»Und was soll mit Jordan passieren? Soll ich ihn einfach hier lassen?«
»Darum kümmere ich mich. Ich werde mit Reggie sprechen.
Wir besorgen ihm den besten Anwalt …«
»Und ich fahre nach Hause und tu so, als ob mich das alles nichts anginge?« Sie starrte die Uhr an, die sie in der Hand hielt.
Jordans Uhr. Leise sagte sie: »Er ist meine Familie. Ist dir aufgefallen, wie schlecht er aussah? Es bringt ihn um, wenn er da bleiben muss. Wenn ich ihn jetzt allein lasse, kann ich mir das nie verzeihen.«
»Aber wenn dir etwas passiert, kann Jordan sich das nie 113
verzeihen. Und ich mir auch nicht.«
»Du bist nicht für mich verantwortlich.«
»Aber du musst jetzt verantwortlich handeln.«
»Und wer hat das beschlossen?«
Er streckte die Hand nach ihr aus und nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Ich«, flüsterte er und küsste sie. Sie war so überrascht über diesen intensiven Kuss, dass sie so schnell gar nicht reagieren konnte; zu viele wunderbare Gefühle überwältigten sie. Sie hörte ihn lustvoll stöhnen, fühlte seine begierige Zunge in ihrem Mund. Ihr Körper reagierte, jeder Nerv vibrierte vor Begierde. Sie nahm den Straßenverkehr nicht mehr wahr und auch die Passanten nicht. Es gab nur noch sie beide, ihre Münder und Körper, die sich aneinander pressten.
Den ganzen Tag hatten sie dagegen angekämpft, dachte sie. Und den ganzen Tag hatte sie gewusst, dass es sinnlos war. Sie hatte gewusst, dass es dazu kommen würde – ein Kuss in den Straßen von Paris, und sie wäre verloren.
Sanft löste er sich von ihr und sah sie an. » Deshalb musst du Paris verlassen«, murmelte er.
»Weil du es mir befiehlst?«
»Nein, weil es sinnvoll ist.«
Sie trat einen Schritt zurück, wollte eine Distanz zwischen ihnen schaffen, damit sie sich – irgendwie – wieder unter Kontrolle bekam. »Für dich vielleicht«, sagte sie leise. »Aber nicht für mich.« Sie drehte sich um und stieg in sein Auto.
Er setzte sich auf den Fahrersitz und schloss die Tür. Sie schwiegen eine Weile, und doch konnte sie seine Frustration spüren.
»Was kann ich tun, damit du deine Meinung änderst?« fragte er.
»Damit ich meine Meinung ändere?« Sie sah ihn an, und es gelang ihr, ein kompromissloses Lächeln aufzusetzen.
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»Absolut nichts.«
»Die Situation ist ziemlich verfahren«, sagte Reggie Vane.
»Wenn die Anklagepunkte nicht so schwerwiegend wären –
vielleicht Diebstahl oder Körperverletzung – dann könnte die Botschaft eventuell etwas ausrichten. Aber bei Mord? Tut mit Leid, da können wir uns diplomatisch nicht einmischen.«
Sie saßen in Reggies Arbeitszimmer zu Hause, einem
männlich wirkenden, dunkel getäfelten Raum, der Hughs Arbeitszimmer in Chetwynd ähnelte. In den Bücherregalen standen englische Klassiker, an der Wand hingen Jagdszenen mit Füchsen und Hunden und Reitern. Bei dem steinernen Kamin handelte es sich, so Reggie, um eine originalgetreue Kopie des Kamins aus seinem Elternhaus in Cornwall. Selbst der Geruch von Reggies Tabak erinnerte Beryl an zu Hause.
Irgendwie war es tröstlich, dass es hier, am Stadtrand von Paris, einen Ort gab, der wie ein Stück England erschien.
»Aber der Botschafter kann doch sicher etwas tun?« beharrte Beryl. »Wir reden schließlich von Jordan, nicht von irgendeinem Fußball-Hooligan. Außerdem ist er unschuldig.«
»Natürlich ist er unschuldig«, sagte Reggie. »Glaub mir, wenn ich irgendetwas für ihn tun könnte, müsste Jordan keinen Moment länger in dieser Zelle sitzen.« Er setzte sich neben sie auf die Couch und nahm ihre Hände in seine. Dann sah er sie mit seinen gütigen blauen Augen an. »Beryl, mein Liebes, das musst du verstehen. Auch der Botschafter kann keine Wunder wirken. Ich habe mit ihm gesprochen, und er macht sich keine großen Hoffnungen.«
»Also kannst du nichts tun und er auch nicht?« fragte Beryl niedergeschlagen.
»Ich werde ihm einen Anwalt besorgen – einen, mit dem die Botschaft zusammenarbeitet. Das ist ein ausgezeichneter Mann, der auf solche Fälle spezialisiert ist. Und auf englische 115
Mandanten.«
»Dann können wir nur auf einen guten Anwalt hoffen?«
Reggies Antwort war ein bedauerndes Kopfnicken.
In ihrer Enttäuschung nahm Beryl nicht wahr, dass Richard dicht hinter ihr stand und
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