Verrat in Paris
die Glock. Eineinhalb Pfund Stahl und Plastik, mehr hatte er nicht, um sie zu beschützen. Es schien ihm minderwertig und nutzlos angesichts der Gefahren, die vor der Haustür lauerten.
»Du kommst also mit?« fragte sie.
Er drehte sich um und sah sie an. »Meinst du, ich lasse dich allein gehen?«
Sie lächelte so selbstbewusst, dass ihm angst und bange wurde. Madeline hatte dasselbe Lächeln gehabt. Madeline, die 166
genauso selbstsicher gewesen war.
Er ließ die Glock in das Schulterhalfter gleiten. »Ich bin bei dir, Beryl«, sagte er, »auf Schritt und Tritt.«
Anthony Sutherland stand wie ein kleiner Kaiser neben seiner Bronzefigur der Madonna mit Schakal. Er trug ein Piratenhemd aus schwarzer Seide, eine schwarze Lederhose und Stiefel aus Schlangenleder. Die Blitzlichter der Fotografen schienen ihn kein bisschen nervös zu machen. Die Kunstkritiker waren angesichts der Ausstellung in Aufruhr.
»Aufwühlend.«
»Erschreckend.«
»Bilder, die jegliche Konvention sprengen.«
Das waren nur ein paar der Kommentare, die Beryl
aufschnappte, als sie durch die Galerie wanderte.
Sie und Richard blieben stehen, um sich eine weitere Bronzeplastik von Anthony anzusehen. Auf den ersten Blick hielt man es für zwei nackte Figuren, die sich liebevoll umarmen. Doch bei näherem Hinsehen erkannte man, dass sie sich gegenseitig bei lebendigem Leibe verschlangen.
»Ist das nicht eine Allegorie auf die Ehe?« hörten sie eine bekannte Stimme sagen. Es war Reggie Vane, der in der einen Hand ein Glas Champagner und in der anderen zwei Tellerchen mit leckeren Kanapees balancierte.
Er beugte sich vor und küsste Beryl liebevoll auf die Wange.
»Du siehst heute Abend einfach wunderbar aus, mein Liebes.
Deine Mutter wäre stolz auf dich.«
»Reggie, ich hatte keine Ahnung, dass du dich für moderne Kunst interessierst«, sagte Beryl.
»Tu ich auch nicht. Helena hat mich hergeschleppt.« Er blickte angewidert in die Runde. »Mein Gott, ich hasse solche Veranstaltungen. Aber die St. Pierres sind da, und Marie besteht 167
immer darauf, dass Helena auch kommt, um ihr Gesellschaft zu leisten.« Er stellte sein Champagnerglas auf dem Kopf der Plastik ab und lachte über den skurrilen Effekt. »Sieht doch gleich viel besser aus, oder? Wenn sich die beiden schon gegenseitig auffressen, kann etwas Blubberwasser zum Herunterspülen nicht schaden.«
Eine elegant gekleidete Dame stürmte heran und schnappte sich das Glas. »Bitte zeigen Sie doch etwas mehr Respekt vor der Kunst, Mr. Vane!« schimpfte sie.
»Ich wollte nicht respektlos sein, Annika«, beschwichtigte Reggie die Galeristin. »Ich fand nur, etwas Humor könnte dem Werk nicht schaden.«
»Es ist absolut perfekt, so wie es ist.« Annika wischte mit ihrer Serviette kurz über die Bronzeköpfe und trat einen Schritt zurück, um die ineinander verschlungenen Figuren zu betrachten. »Skurrilität würde seine Botschaft zerstören.«
»Und wie lautet die Botschaft?« erkundigte sich Richard.
Die Frau mit dem jungenhaft kurz geschnittenen Haar drehte sich zu ihm um und zeigte deutliches Interesse. »Die Botschaft«, sagte sie und sah Richard dabei intensiv an, »ist, dass Monogamie eine zerstörerische Einrichtung ist.«
»Das ist die Ehe, das stimmt«, brummte Reggie.
»Aber die freie Liebe«, führte die Frau weiter aus, »kennt keine Beschränkungen und steht allen Vergnügungen offen gegenüber – sie ist eine positive Kraft.«
»Ist das Anthonys Interpretation des Werks?« fragte Beryl.
»Das ist meine Interpretation.« Annika ließ ihren Blick zu Beryl wandern. »Sind Sie eine Freundin von Anthony?«
»Eine Bekannte. Ich kenne seine Mutter, Nina.«
»Wo ist Nina eigentlich?« wunderte sich Reggie. »Man würde doch erwarten, dass sie bei dieser ruhmvollen Veranstaltung für ihren Darling Anthony ganz vorne mit dabei ist.«
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Beryl musste über Reggies Nachahmung von Nina lachen. Ja, wenn Queen Nina Publikum wollte, musste sie nur eine dieser edlen Veranstaltungen organisieren, und schon hätte sie ihr Publikum. Selbst die bedauernswerte Marie St. Pierre, eben erst aus dem Krankenhaus entlassen, durfte nicht fehlen. Marie stand mit Helena Vane zusammen, die beiden Frauen wirkten wie zwei Spatzen inmitten von lauter Pfauen. Es war klar zu erkennen, warum die beiden so gut befreundet waren; beide waren völlig unscheinbar, und beide waren unglücklich verheiratet. Dass es in den Ehen der beiden nicht gut lief, war heute Abend deutlich zu bemerken. Die
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