Verrat und Verführung
auf den Gastgeber. William Atherton war ein schlanker blonder Mann mit offenherzigen, jungenhaften Zügen. Wie er infolge seiner Nachforschungen wusste, war Lord Atherton unverheiratet. Also musste die Dame an seiner Seite seine Schwester sein, Miss Christina. Mehrere Leute hatten ihre Schönheit gepriesen. Darauf hatte er kaum geachtet, denn er hielt nicht viel von Klatsch und Tratsch. Aber jetzt betrachtete er sie umso interessierter.
Hochgewachsen und graziös, glich sie einer kostbaren griechischen Statue. In der Tat, sie war wunderschön. Wie eine Königin beherrschte sie ihre Domäne. Ihre goldblonden Locken waren in bezauberndem Chaos hochgesteckt, einzelne Strähnchen umspielten den schlanken Hals. Aber die junge Frau, die er am Vortag gesehen hatte, gefiel ihm besser – das offene Haar reizvoll zerzaust, die nackten Füße anmutig plätschernd im Bach …
Christina Athertons zerbrechliche Aura fand er ebenso anziehend wie die naive Frische in den Augen, die ihre Unschuld verrieten. Den Frauen seines Bekanntenkreises fehlten solche Eigenschaften. Trotz dieser zarten Erscheinung erinnerte sie ihn aber auch an eine fein geschliffene stählerne Klinge. Er konnte seinen Blick unmöglich von ihr losreißen, während sie mit den Gästen sprach, eine behandschuhte Hand ganz leicht auf dem Arm ihres Bruders.
Nun bemerkte er ihre Juwelen, wertvolle Diamanten und Saphire, die zu ihren ungewöhnlichen dunkelblauen Augen passten – zu Augen, die nicht von innerer Wärme erleuchtet wurden.
Einen so exquisiten Schmuck würde jede andere Frau voller Stolz zur Schau stellen. Christina Atherton trug ihn mit einem Gleichmut, der beinahe an Melancholie grenzte. Die Leute plauderten mit ihr. Doch sie erweckte den Eindruck, sie würde ihnen nicht zuhören und sie nicht einmal wahrnehmen. Ihr Lächeln wirkte aufgesetzt, maskenhaft. Und die Gefühle, die sie in ihm weckte, passten nicht zur eisigen Fassade dieser blendenden Schönheit.
Lord Rockley war fasziniert.
Während die Festivitäten in grandiosem Stil ihren Lauf nahmen, spürte Christina, dass sie beobachtet wurde. Sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite und entdeckte einen Mann, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich vorzustellen. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Beine leicht gespreizt, stand er am anderen Ende des Raums neben einem Fenster.
Er war überdurchschnittlich groß, mit dichtem, glatt zurückgekämmtem dunkelbraunen Haar. Hoch aufgerichtet, umgab ihn eine Aura, die ihn kämpferisch und gefährlich wirken und es ratsam erscheinen ließ, ihm fernzubleiben. Wie die Gitterstäbe eines Pantherkäfigs, dachte sie. Zweifellos war das ein passender Vergleich, denn in seiner Gestalt und seiner Haltung ähnelte er einem Panther.
Mit seiner sonnengebräunten Haut, die vielleicht vom Kriegsdienst im Ausland herrührte, und der kraftvollen, aber schlanken Figur fiel er inmitten der rosigen Gesichter des wohlgenährten ortsansässigen Landadels besonders auf. Er wirkte wie ein Raubvogel zwischen Tauben … Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als schmale bronzebraune Hände hinter seinem Rücken auftauchten und aus den breiten, bestickten Manschetten seines Justaucorps ragten. Der körpernah geschnittene Leibrock saß perfekt und betonte die schlanke und doch so kraftvolle Gestalt des Mannes.
Unentwegt und ungeniert musterte er sie mit seinen beklemmend intensiven silbergrauen Augen. Als er merkte, dass sie seinen Blick erwiderte, entblößte ein ironisches Lächeln schneeweiße Zähne. Statt die Lider züchtig zu senken, starrte Christina zurück. Kokett zog sie eine Braue hoch, um eine Frage auszudrücken.
Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Und schließlich erkannte sie den Mann, den sie am vergangenen Tag im Wald getroffen und der sich Simon genannte hatte. Bei der Erinnerung an den Kuss und das viel zu freizügige Gespräch stieg ihr heiße Röte in die Wangen. Angesichts ihrer Verlegenheit lächelte er noch breiter, und der freudige Glanz in seinen Augen raubte ihr den Atem.
Ringsum schien sich das Stimmengewirr zu entfernen. Sie nahm nur noch diesen unglaublich arroganten Mann wahr. Jetzt kam er auf sie zu, und sie konnte einen Schauer der Erregung nicht unterdrücken.
Am liebsten hätte sie sofort die Flucht ergriffen. Aber sie durfte ihre Manieren nicht vergessen. Und so zwang sie sich, stehen zu bleiben und ihn zu erwarten. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen – das musste Lord Rockley sein. Während er sich
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