Verrat und Verführung
sein Gesichtsausdruck unergründlich wirkte, flackerte etwas in diesen durchdringenden silbergrauen Augen. Christina sagte sich, sogar wenn er einem den Rücken kehren würde, dürfte man niemals unvorsichtig sein. Denn wie der Panther, mit dem sie ihn verglichen hatte, könnte er blitzschnell herumwirbeln und zuschlagen.
„Wie immer die Menschen sich in der Öffentlichkeit geben – in Wirklichkeit sind sie oft ganz anders“, bemerkte er.
„Ja, das – das mag stimmen.“
„In einem solchen gesellschaftlichen Ereignis sehe ich die beste Möglichkeit, die Leute kennenzulernen, die in der Nachbarschaft leben. Für diese Gelegenheit bin ich Euch sehr dankbar.“
„Gewiss, die solltet Ihr nutzen.“ Nur zu gut wusste Christina, warum Lord Rockley in engere Verbindung zu den Einheimischen treten wollte. Doch darüber mochte sie nicht sprechen. Stattdessen ließ sie ihren Blick über die schwatzende, fröhliche Menge schweifen. „Wie Ihr seht, ist das kein formelles Fest. Mein Bruder und ich legen vor allem Wert auf Gemütlichkeit und Vergnügen. Hoffentlich habt Ihr schon ein Glas Wein getrunken und Euch am Buffet bedient. Die Erdbeeren kann ich Euch wirklich empfehlen – sie schmecken köstlich, erst an diesem Nachmittag in unserem Garten frisch gepflückt …“ Als ihr bewusst wurde, dass sie zu viel redete, verstummte sie abrupt.
Was in ihr vorging, erriet Simon sofort. Lächelnd erwiderte er: „Ja, Miss Atherton, ich habe bereits ein Glas Wein genossen, aber noch nichts gegessen. Vielleicht später – und wenn es so weit ist, werde ich mir zweifellos einen Teller Erdbeeren genehmigen.“
„Seid … seid Ihr allein hierhergekommen, Lord Rockley?“, fragte sie zögernd. So, wie er sie anschaute, musste er ihr unbeholfenes Verhalten bemerken, und es belustigte ihn.
„Nein, mein Kammerdiener begleitet mich. Einer Eurer Dienstboten brachte ihn zu der Suite, die dank Eurer Großzügigkeit für uns vorbereitet wurde.“
„Dann bin ich froh, weil man sich um Euch gekümmert hat, Sir. Natürlich hoffe ich, Euer Aufenthalt in Oakbridge Hall wird Euch in angenehmer Erinnerung bleiben.“
Während Simon ihr Gesicht betrachtete, dachte er, angesichts dessen Liebreiz müsste man mir alle unzüchtigen Gedanken verzeihen. In der Tat, sie besaß die schönsten, ausdrucksstärksten blauen Augen, die er jemals gesehen hatte. Lange dunkle Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen, wann immer sie die Lider schüchtern oder verlegen senkte. Der Ausschnitt ihres Kleides gab den Blick frei auf helle Haut, die wie Perlmutt schimmerte und sich wundervoll vom Eisblau ihres Gewandes abhob. Als sie sich zur Seite wandte, um eine elegant gekleidete Dame anzulächeln, wurde sein Blick zu seidigen Löckchen in ihrem Nacken gelenkt, und er malte sich aus, er würde diese zarte Strähne um seinen Finger wickeln – oder mit seiner Hand das hochgesteckte Haar aus den Nadeln lösen.
Nun trat Christina zur Seite, machte einer anderen Dame Platz, die an ihr vorbeischlenderte, und streifte seinen Arm. Dabei wehte verlockender Parfümduft in seine Richtung, und seine Aufmerksamkeit galt ihren vollen rosigen Lippen. Mit ihrer Zungenspitze berührte sie nun einen Mundwinkel. Dann lächelte sie schwach. Welche geheimen Gedanken mochten sie beschäftigen?
Entschlossen rief er sich zur Ordnung. „Unglücklicherweise bin ich nicht hier, um mich zu vergnügen, Miss Atherton“, beantwortete er die Hoffnung, die sie vorhin ausgesprochen hatte.
„Nein, das – dachte ich mir. Ihr stammt ja nicht aus dieser Gegend. Woher kommt Ihr?“
„Aus Hertfordshire. Deshalb vermute ich, man wird mich hier wie einen Ausländer behandeln und mir voller Misstrauen begegnen.“
„Misstrauen? Warum?“
Die indiskrete Frage und die freimütige Art, wie sie geäußert wurde, bewogen Simon wieder einmal, die Brauen zu heben. „Vielleicht, weil ich mich etwas seltsam verhalten werde – während ich meinen Geschäften nachgehe.“
„Mein Bruder erzählte mir, Ihr würdet den Anstieg der Raubüberfälle auf den Straßen in diesem Gebiet untersuchen.“ Jetzt ließ sich das heikle Thema nicht mehr vermeiden. Lange genug hatte Christina um den heißen Brei herumgeredet. Lächelnd entblößte sie ihre ebenmäßigen weißen Zähe, unschuldig tauchte ihr Blick in seinen. „Ein ehemaliger Soldat geht auf die Jagd nach Dieben. Was für eine interessante Mission …“
„Nicht so interessant wie notwendig.“
„Dann wünsche ich Euch viel Glück, Sir.
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