Verrat und Verführung
mich, warum Ihr Eure Gäste verlassen habt.“
Seine überheblichen Worte brachten sie in Wut. Was bildete sich dieser Mann ein? Warum erklärte er ihr, wie sie sich in ihrem eigenen Haus benehmen müsste? Und damit nicht genug – sicher würde er ihr noch mehr erzählen. Sonst wäre er nicht hierhergekommen, obwohl er gewusst hatte, er würde sie allein antreffen. „Ich wollte nur die Gelegenheit nutzen, um mich woanders zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist, Sir.“
„Hoffentlich gab es nichts zu bemängeln.“
Diese Bemerkung klang völlig harmlos. Trotzdem erschien sie ihr wie eine Drohung. „Ja, in der Tat. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss einiges erledigen. Inzwischen habe ich meine Gäste etwas zu lange vernachlässigt.“
„Offenbar besitzt Ihr ein ziemlich rastloses Wesen, Miss Atherton. Gehört es zu Euren Eigenheiten, immer wieder plötzlich zu verschwinden?“
„Keineswegs. Wie gesagt, ich habe Pflichten zu erfüllen.“
Als sie ihm den Rücken kehrte, trat er an ihre Seite, und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange. „Was ich sonst noch an Euch beobachtet habe, Miss Atherton – was immer Ihr tut, Ihr geht voller Selbstvertrauen ans Werk.“
„Meistens.“
„Und Ihr seid überaus freundlich.“
Verwundert wandte sie sich zu Lord Rockley und begegnete einem prüfenden Blick. „Hoffentlich bin ich niemals unfreundlich.“
„Gewiss nicht“, murmelte er. „Ich glaube, Ihr wisst nicht einmal, wie man sich verhalten muss, um unfreundlich zu wirken. So liebenswürdig und höflich habt Ihr mich begrüßt, wenn mein Besuch auch unerwartet war – und wahrscheinlich unwillkommen, wegen meiner Mission. Sollten einige Eurer Gäste in Verbindung mit den Leuten stehen, die ich suche, muss ihnen meine Anwesenheit äußerst unangenehm sein.“
„Für den Großteil meiner Gäste an diesem Abend verbürge ich mich. Niemals würden sie ein Verbrechen begehen.“
Kaum merklich nickte er und ließ Christinas Gesicht nicht aus den Augen. „Da Ihr ein respektables Mitglied der hiesigen Gemeinde seid, glaube ich Euch. Niemals würdet Ihr wissentlich ehrlose Schurken in dieses schöne Haus einladen. Aber wie ich Euren Worten entnehme, kennt Ihr nicht alle Anwesenden. Und die restlichen bereiten mir Sorgen. Diebe sind äußerst misstrauisch. Ist Euch heute Abend irgendjemand aufgefallen, auf den das zutreffen würde?“
„Nein, aber … man hört Gerüchte … über Raubüberfälle auf den Straßen …“, erwiderte Christina zögernd. „Und von Häusern, in die eingebrochen wurde. Sicher passiert das immer und überall, nicht nur in dieser Gegend.“
„Diese Schurken müssen zur Strecke gebracht werden. Sicher teilt Ihr meine Meinung, Miss Atherton. Stellt Euch vor, wie Euch zumute wäre, wenn jemand hier eindringen und Gegenstände entwenden würde, die Euch lieb und teuer sind – zum Beispiel unersetzliche Familienerbstücke. Die Beute wird verkauft, und je ungewöhnlicher einzelne Wertsachen sind, desto leichter können sie zum Ort ihrer Herkunft zurückverfolgt werden. Wenn eine so auffällige Beute wieder auftaucht, stellt sie einen wichtigen Beweis gegen die Diebe dar, die man andernfalls nur schwer mit der Missetat in Verbindung bringen könnte. Vielleicht sind sie sogar Einheimische. Um diese dingfest zu machen – nun, dafür brauche ich stichhaltige Beweise.“ Lord Rockley trat noch näher zu ihr. „Mark Buckley, Miss Atherton. So heißt der Mann, den ich aufspüren möchte. Ohne jeden Zweifel wisst Ihr, wen ich meine.“
Beinahe blieb ihr das Herz stehen, und sie fürchtete, er würde ihr Entsetzen bemerken. Doch dann wandte er sich seelenruhig ab, wanderte umher und ließ ihr Zeit, zu verkraften, was sie soeben gehört hatte.
Weil ihr keine passende Antwort einfiel, versuchte sie Verwirrung vorzutäuschen. „Oh – Mark Buckley?“, wisperte sie. „Ich … ich verstehe nicht …“
„Doch, das versteht Ihr sehr gut“, entgegnete er klipp und klar und drehte sich wieder zu ihr um.
Schweigend starrte sie ihn an. Eine Braue fragend hochgezogen, wartete er auf ihre Antwort. „Nein, ich bin mir nicht sicher, Sir …“
Ihr fortgesetztes Bemühen, seinen Fragen auszuweichen, missfiel ihm. Daraus machte er keinen Hehl. „Kennt Ihr ihn – oder nicht? Oder habt Ihr von ihm gehört? Oder behauptet Ihr, sein Name sei Euch noch nie zu Ohren gekommen?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
Im zuckenden Feuerschein sah sie Lord Rockleys Augen glitzern. Nun
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