Verrat und Verführung
betreten darf. So kann es nicht weitergehen … Und um dir neue Sorgen zu bereiten – letzte Nacht ist etwas Grauenvolles geschehen.“
„Was?“
„Mr und Mrs Simmons’ Kutsche wurde während der Heimfahrt aufgehalten. Wer immer die beiden angriff, regte Mr Simmons ganz furchtbar auf. Deshalb erlitt der arme Mann einen Herzanfall und starb.“
Mit dieser Nachricht wurde William endgültig aus seiner Katerstimmung gerissen. „O Gott, Christina, wie entsetzlich!“
„Allerdings. Jetzt werde ich Mrs Simmons besuchen.“ Christina wandte sich vom Spiegel ab und starrte ihren Bruder mit schmalen Augen an. „Hör mir zu, William, das muss ein Ende finden. Befreien wir uns von dem Joch, in dem Mark Buckley uns gefangen hält! Keine Ahnung, wie uns das gelingen soll – aber wir haben keine Wahl.“
„Glaubst du, das würde ich nicht wünschen? Aber es ist unmöglich, da stecken wir zu tief drin. Er braucht Oakbridge. Und wenn er glaubt, wir hätten ihn an die Behörden verraten – du weißt, was uns dann blüht.“
„Ja, das weiß ich, und ich erschauere, wenn ich mir vorstelle, was Vater von alldem halten würde. Beinahe bin ich froh über seinen Tod, denn er muss dieses Unheil nicht miterleben.“
„So denke ich auch“, gestand William beschämt.
In seiner Fantasie sah er die Augen seines Vaters. Vorwurfsvoll musterte ihn der verstorbene Lord Atherton und verstand nicht, warum sein Sohn sich nicht gegen Buckley und dessen Drohungen wehrte.
Fröstelnd verscheuchte William diese Vision.
„Bald wird Miranda aus London zurückkehren“, erinnerte ihn seine Schwester. „Falls ihr Vater Wind von deiner Abmachung mit Buckley bekommt, wird er die Verlobung lösen. Niemals wird er seine kostbare Tochter mit einem Verbrecher vermählen – denn das ist es, was du im Grunde bist.“
„Nein! Miranda ist das Liebste und Beste, was ich jemals in meinem Leben gefunden habe!“ Verzweifelt presste William die Hände an seine Schläfen. „Wenn ich sie verliere – das würde ich nicht ertragen.“
„Hoffentlich kommt es nicht dazu, William.“ Wie sehr er Miranda liebte, las sie in seinen Augen. Auch seinen bebenden Lippen merkte sie an, was er empfand. „Mirandas Vater wünscht, dass die Hochzeit möglichst bald stattfindet – und seine Tochter Lady Atherton wird. Was mit Buckley geschehen soll – darum kümmern wir uns später. Jetzt muss ich zu Mrs Simmons fahren und die arme Frau in ihrer tiefen Trauer trösten. Lord Rockley besteht darauf, mich zu begleiten. Daran kann ich ihn nicht hindern.“
„Eigentlich sollte ich mit dir kommen …“
„Ja, da solltest du – aber du bist nicht in der Verfassung, um diese Pflicht zu erfüllen, und ich habe keine Zeit zu warten.“
Mit glasigen Augen schaute er seine Schwester an – ein wenig beruhigt in der festen Überzeugung, sie würde alles richtig machen. Ruckartig nickte er und verließ das Zimmer.
Christina schloss die Tür hinter ihm, lehnte erschöpft ihre Stirn an das Holz und senkte die Lider. Wäre sie doch bloß als Mann auf die Welt gekommen – dann hätte sie die Familie Atherton von diesem entsetzlichen Schicksal bewahrt. Sie fürchtete Mark Buckley, und sie verabscheute ihn aus tiefster Seele. Doch sie kannte seine Macht. Mühelos würde er sie wie eine Schnecke unter seinem Stiefel zertreten, wenn sie ihn verriet. Daran bestand kein Zweifel.
Aber irgendwie musste sie einen Ausweg aus diesem Elend finden.
5. KAPITEL
Christina traf Lord Rockley in der Halle an, wo er auf und ab wanderte.
„Verzeiht mir, dass ich Euch meine Gesellschaft weiterhin aufzwinge“, entschuldigte er sich in schroffem Ton. „Sobald ich mit Mrs Simmons gesprochen habe, werde ich mit meinem Kammerdiener abreisen und Euch den Tätigkeiten überlassen, die Euch beanspruchen – woraus immer sie bestehen mögen. Allerdings sind meine Geschäfte in dieser Gegend noch lange nicht erledigt.“
Seine Worte erschienen ihr seltsam, und sie fragte sich, was dahinterstecken könnte. Obwohl sie erleichtert aufatmen würde, wenn er Oakbridge den Rücken kehrte, verspürte sie gleichzeitig ein sonderbares Bedauern und verstand ihre eigenen Emotionen nicht. Ebenso unerklärlich fand sie, warum sie ihn nicht fürchtete. In männlicher Gesellschaft hatte sie sich stets unbehaglich gefühlt und erwartet, in Lord Rockleys Nähe würde es ihr genauso ergehen.
Doch so war es nicht. Bei ihm fühlte sie sich sicher und beschützt. Im Grunde ihres Herzens wünschte sie, er würde
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