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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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schon genug Schaden angerichtet.« Ihre Worte erreichten ihn kaum. Er hörte, wie sich ihre Schritte von ihm entfernten. Plötzlich wurde ihm bewusst, was ihm bevorstand.
    Ich werde sterben.
    Irgendwo tief in ihm regte sich Widerstand. Er wollte sich nicht abknallen lassen wie ein zuckendes Tier. Er wollte hellwach sein, wenn es geschah. Anna sollte wissen, dass sie einen Menschen erschoss. Er wollte ihr in die Augen sehen, wenn sie es tat. In einem letzten Kraftakt hob er den Kopf. Ihm schwindelte. Er konzentrierte sich. Blickte sie an. Blickte ihr genau in die kalten, grauen Augen. Er atmete schwer.
    Er war bereit.
    Sie stand fünf Meter von ihm entfernt. Er sah, wie sie die halbautomatische Waffe auf ihn anlegte. Wie sie ein Auge schloss und zielte. Er hörte den Schuss. Und noch einen. Und noch einen. Drei Schüsse. Danach verschwand Anna aus seinem Blickfeld.
    Er hatte sich den Tod vorgestellt wie ein schwarzes Loch. Ein Nichts. Leere. Aber er spürte noch immer dieselben unterschwelligen, durch Endorphine gemilderten Schmerzstiche. Er konnte seine Umwelt noch wahrnehmen. Nur war es, als ob er träumte, verschwommen, unscharf. Er sah, dass Anna auf dem Boden lag, und wunderte sich darüber.
    Plötzlich kam von irgendwo außerhalb seines Blickfeldes eine andere Person in Sicht. Eine Frau. Es sah aus, als würde sie schweben. Sie schwebte zu Anna, die auf dem Boden lag und sich krümmte. Es war ein merkwürdiger Anblick. Die unbekannte Frau stellte sich über die Russin. Sie zielte mit einer Waffe auf sie. Schoss. Er hörte den Schuss nicht, aber er sah, wie der Arm der unbekannten Frau durch den Rückschlag hochzuckte. Er sah zu, wie sie die Waffe einsteckte. Sie war schön. Eine schöne Frau. Sie kam auf ihn zu, schwebend. Er sah ihr Gesicht. Sie sah besorgt aus. Es war Susans Gesicht. Er lächelte. Susan war auch im Himmel. Oder in der Hölle. Oder wo auch immer. Ihn durchzuckte der Gedanke, dass es sie also auch erwischt hatte.
    Verdammt.
    Dann spürte er auf einmal keine Schmerzen mehr. Er fühlte und sah überhaupt nichts mehr.

26
     
    Hartnäckig drückte Susan auf die Klingel. Nach ein paar Minuten, die ihr wie Stunden erschienen, wurde die Tür geöffnet. Sie drückte sie mit beiden Händen weiter auf, stürzte sich auf Sven und klammerte sich an ihm fest. Er sah verwirrt und strubbelig aus: faltiges Gesicht, formloses T-Shirt, Boxershorts. Sie hatte ihn aus dem Schlaf gerissen.
    »Sven!«, keuchte sie. »Komm mit in die Klinik, jetzt sofort, bitte!«
    Er starrte sie verwirrt an. »Äh, was …?«
    »Bitte komm sofort mit, ich habe keine Zeit, es dir zu erklären!«
    »Lass mich wenigstens erst eine Hose anziehen.«
    Er wollte sich umdrehen, aber Susan zog ihn an seinem T-Shirt zur Tür hinaus. Er wäre beinahe hingefallen und hielt sich am Türpfosten fest.
    »Jetzt mal langsam, Susan, was ist denn los? Weißt du, wie spät es ist?«
    »Sven, bitte, wir dürfen keine Zeit verlieren, es geht um Leben und Tod! Wenn du jetzt nicht sofort mitkommst, stirbt jemand!«
    Er wusste nicht, warum, aber er ließ sich von ihr mitschleifen. Die Fliesen auf der Galerie fühlten sich rau und kalt an unter seinen nackten Füßen. Susan rannte auf einen Corsa zu, der mit laufendem Motor am Straßenrand stand. Die Rücklichter färbten die Straße rot.
    »Komm schnell, bitte!«, sagte sie nochmals. Sie saß schon fast am Steuer, als sie plötzlich noch einmal heraussprang und ihn wieder zurück in den Hauseingang drängte.
    »Die Schlüssel, die Schlüssel zu deiner Praxis, hol sie, schnell!«
    Er eilte zurück zu seiner Wohnung, riss eine Windjacke von der Garderobe, rannte im Laufschritt zum Auto zurück und stieg auf der Beifahrerseite ein. Susan gab Gas. Der Opel ruckte kurz und schoss mit quietschenden Reifen die kleine Straße entlang. Sie bogen sofort rechts ab, fuhren mit mindestens achtzig Sachen über die Zugbrücke und anschließend durch eine Straße, die für den Verkehr stadtauswärts gesperrt war. Um diese Zeit waren nur wenige Leute unterwegs. Zwei Teenager auf Motorrollern wichen ihnen aus, blieben am Straßenrand stehen und starrten ihnen nach. Alle paar Sekunden wurde das Wageninnere von den Straßenlaternen, von denen nur jede zweite brannte, kurz erleuchtet. Sven runzelte die Augenbrauen und schnupperte.
    Dieser Geruch.
    Er kam ihm irgendwie bekannt vor. Was war das nur? Jedenfalls gehörte er irgendwie nicht in dieses Auto. Dann stieg ihm noch ein anderer Geruch in die Nase, weniger intensiv als der

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