Verraten
entfernt, kantige Gesichter mit hohen Wangenknochen. Köpfe mit kurzem, rotem Haar. Sorgsam frisiert, mit blonden Strähnchen. Mit dünnen, dunkelroten Lippen, zu einem verbissenen Strich zusammengekniffen. Langsam fügten sich die Gesichter zusammen, schoben sich ineinander und formten schließlich ein deutliches Bild. Anna. Ihre schwarz geschminkten, grauen Augen blickten ihn kalt und hasserfüllt an.
Ich bin tot, dachte er. Das war’s.
»Pinkeln Sie nicht ein bisschen weit außerhalb Ihres Reviers? «, fragte sie, beugte sich zu ihm hinunter und riss ihm in einer heftigen Bewegung die Sturmhaube vom Kopf.
»Du kannst mich mal«, murmelte er, fast unhörbar, und hob den Arm, um nach ihr zu schlagen.
Es brachte ihm einen üblen Tritt in die Hoden ein. Er sah Lichtblitze. Würgte. Es gab nichts mehr außer diesen höllischen Schmerzen. Sein gesamter Organismus war außer Gefecht gesetzt. Die Schmerzen waren überwältigend.
Er bekam nur im Unterbewusstsein mit, wie er an den Fußknöcheln weggeschleift und gegen ein Regal geschubst wurde. Seine Handgelenke wurden mit Klebeband an die Regalständer gefesselt.
Er lag in einer unbequemen Haltung, mit dem Rücken gegen den harten Rand einer Querstrebe, die Arme überstreckt. Sein Kinn ruhte auf seiner Brust. Er bekam kaum Luft, schaffte es aber nicht, den Kopf zu heben. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so große Schmerzen gehabt zu haben.
Er machte sich bewusst, dass er einen klaren Kopf behalten musste. Er musste versuchen, logisch zu denken. An den Schmerzen vorbeizudenken. Langsam hob er den Kopf. Es tat furchtbar weh. Anna stand vor ihm. Sie trug ein braunes Wollkostüm und stand kerzengerade da, würdevoll und selbstsicher. Von ihrem Gesicht waren keinerlei Gefühlsregungen abzulesen. Sie hielt eine halbautomatische Waffe auf ihn gerichtet.
»So, jetzt unterhalten wir uns mal nett miteinander, Meneer Maier.«
Er schloss die Augen und atmete tief durch den Mund ein und aus. Schmeckte wieder diesen metallischen Geschmack. Das Blut lief ihm aus der Nasenhöhle hinten in den Hals und zwang ihn zu schlucken. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er hustete, was alles noch schlimmer machte. Er versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren. Versuchte, sich von den Schmerzen abzuschotten. Sich in einen meditativen Zustand zu versetzen, der es ihm ermöglichte, außerhalb seines Körpers zu treten. Keine Schmerzen mehr zu empfinden.
»Fangen wir damit an, dass Sie Geld haben, das mir gehört. Ich wüsste gern, wo Sie es gelassen haben.«
Er hüllte sich in Schweigen. Sie würde ihn ermorden. Nicht nur wegen des Geldes. Auch wegen Paul. Ihre Fassade drohte zu zerbröckeln, jetzt, da ihre Galionsfigur, ihre unwissende Marionette, nicht mehr existierte. Sie musste außer sich sein vor Wut. Das würde er nicht überleben. Er war sich ganz sicher.
»Ich habe Sie etwas gefragt, Meneer Maier!«
Er schwieg weiterhin. Alles tat ihm weh. Mehr als weh. Er verspürte höllische, stechende Schmerzen. Im Gesicht. In der Schulter. Seine Hand brannte, als sei sie in Salzsäure getaucht worden. Er konnte nicht durch die Nase atmen. Irgendetwas blockierte die Luftzufuhr. Geronnenes Blut. Auch durch den Mund bekam er nur mühevoll und röchelnd Luft. Er schmeckte das Blut in seinem Mund, und es hörte nicht auf zu fließen.
Sein Schweigen machte Anna rasend. Er registrierte einen Tritt in die Seite. Er spürte ihn nicht wirklich. Er merkte, dass ihm die Sinne schwanden. Fühlte, wie er erschlaffte. Ihm wurde kalt, und er begann unkontrolliert zu zittern. Er begriff, dass er zu viel Blut verlor. Dass er verblutete. Er schloss die Augen wieder.
»Antworten, Maier!«
Annas Stimme kam von weit her. Sie sagte noch viel mehr, er hörte sie reden, hörte, wie sie Worte aussprach, aber er konnte deren Sinn nicht ergründen. Er verstand sie nicht.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ohnmächtig zu werden drohte, und er versuchte, dagegen anzukämpfen. Er riss die Augen auf. Wollte nicht das Bewusstsein verlieren.
Oder sterben?
Als er die Augen öffnete, war ihr Gesicht ganz nah. Ein teuflisches Gesicht. Hochgezogene Augenbrauen. Lippen wie dunkle Spalten. Schmale, lange, dicht beieinanderstehende, ein wenig vorspringende Zähne.
Wenn es einen Teufel gab, musste er so aussehen. Ja, dachte er, der Teufel ist eine Frau. Und sie sah aus wie Anna Düring, so hässlich wie die Nacht.
»Ich glaube, hier trennen sich unsere Wege, Meneer Maier«, spie sie ihm ins Gesicht. »Sie haben
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