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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Er sah die Tür nicht, spürte aber am Luftwiderstand, dass kein offener Raum mehr vor ihm lag. Er fuhr mit den Fingern über die Wand, auf die er gestoßen war, und folgte den Konturen eines Türrahmens. Er fand eine Klinke und legte vorsichtig die Hand darauf. Drückte die Klinke hinunter. Versetzte der Tür mit der Kappe seines Sportschuhs einen leichten Stoß, hielt die HK auf Augenhöhe vor sich und trat einen Schritt nach vorn. Nichts geschah.
    Der Raum, in dem er sich nun befand - was immer er auch für eine Funktion hatte -, war genauso finster wie das letzte Stück Flur, das hinter ihm lag. Er konnte die eigene Hand nicht vor den Augen sehen. Hätte einen Mord begangen für ein Nachtsichtgerät. Seine Zunge fühlte sich an wie ein raues Stück Pappe. Er schluckte. Es half nicht.
    Plötzlich hörte er eine Stimme und zugleich erschien etwa sechs Meter vor ihm ein schmaler Streifen Licht, etwa einen Meter breit, der den Fliesenboden trapezförmig erleuchtete. Das Licht fiel unter einer Tür hindurch.
    Schon beim ersten Geräusch hatte er sich zu Boden fallen lassen, die HK fest umklammert und mit gestreckten Armen vor sich haltend. Sollte jemand versuchen, sie ihm aus den Händen zu treten, musste er sich schon Mühe geben. Er war fest entschlossen, das ganze Magazin auf den erstbesten Schatten leer zu feuern, der sich ihm näherte. Aber niemand kam.
    Doch er hörte weiter die Stimme. Sie klang gedämpft. Ganz offensichtlich kam sie aus dem angrenzenden Raum. Er nutzte den schwachen Lichteinfall und schaute sich blitzschnell um. Er befand sich in einer Zwischenhalle, einer Art Foyer, ungefähr dreißig Quadratmeter groß. Rechts von ihm lag die fensterlose Außenwand, links von ihm zwei Türen. Toiletten. Dicht vor sich erkannte er die Tür, unter der das Licht hindurchfiel.
    Die Stimme war die eines Mannes, und er sprach Russisch. Es musste Annas Handlanger sein, der große Kerl, der gemeinsam mit dem Rotterdamer Russen eingetroffen war. Sil stand auf, schlich geräuschlos zur Tür und blieb mit der Pistole im Anschlag daneben stehen. Konzentrierte sich auf die Stimme. Er verstand kein Wort, aber es schien ihm, als stelle der Mann Fragen und gebe nach einer kurzen Pause Antworten. Der Mann führte ein Telefongespräch.
    Jemanden während eines Telefonats zu erschießen war nicht ratsam. Man sollte nicht mehr Leute aufschrecken als unbedingt nötig. Außerdem konnte es sein, dass der Kerl nicht allein war. Dass Anna auch dort drüben irgendwo stand oder saß und geduldig schwieg, bis ihr Komplize sein Gespräch beendet hatte. Deshalb wartete er, bis Stille eintrat, was ziemlich bald geschah. Er nahm ein Geräusch wahr, das sich anhörte, als blätterte jemand in Papieren. Er wartete noch ein wenig länger. Den richtigen Zeitpunkt lediglich aufgrund von Geräuschen abzuschätzen war unmöglich. Er musste einfach sein Glück versuchen. Der Mann hatte seit vollen zwei Minuten nichts mehr gesagt.
    Er zählte. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Ein Adrenalinstoß durchfuhr seinen Körper. Er riss die Tür auf, die HK im Anschlag. Der große Kerl drehte sich mit erstauntem Gesichtsausdruck zu ihm um. Er war etwa fünfzig Jahre alt, hoch gewachsen und gut genährt, hatte dichtes, grau meliertes Haar und olivfarbene Haut. War mit Goldschmuck behangen. Trug einen dunkelvioletten Maßanzug. Sil dachte nicht nach. Zielte und schoss dreimal hintereinander in Brusthöhe. Beim dritten Schuss stieß der Mann einen Schrei aus und sank in sich zusammen. Sil dröhnten die Ohren. Die Schüsse hatten einen Heidenlärm verursacht.
    Blitzschnell trat er die Tür hinter sich zu und duckte sich hinter einen grauen Aktenschrank. Er schluckte und schloss einen Moment die Augen. Riss sich zusammen. Er musste klar denken und sich konzentrieren.
    Sein Blick huschte von rechts nach links.
    Es war ein Büro. Einige graue Schreibtische, Aktenschränke in derselben Farbe. Die Decke abgehängt, ein System mit eingelassenen Spots. Der ganze Raum war nicht größer als fünfundzwanzig Quadratmeter. Es gab zwei Türen. Die, durch die er gerade gekommen war, sowie eine zweite auf der linken Seite. Dahinter konnte sich Anna befinden.
    Der Mann lebte noch.
    Hinter dem Schreibtisch ganz links erklang ein Stöhnen, gefolgt von einem abscheulichen Geröchel. Er befürchtete, dass ihm der Mann trotz allem noch gefährlich werden konnte. Mit wenigen Schritten durchquerte er das Büro, wobei er sowohl den Russen als auch die Tür im Auge behielt. Der

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