Verraten
Verletzte lag auf dem Rücken, die Krawatte neben dem Gesicht. Ein dunkelroter Fleck zeichnete sich auf seinem weißen Hemd ab. Blutspritzer befleckten die weiße Wand neben ihm, und auch der graue Filzteppich war blutverschmiert. Der Mann hatte die Augen geschlossen und atmete schwer. Seine Brust hob und senkte sich in raschem Tempo. Begleitet von Pfeifgeräuschen. Sil stellte sich über ihn. Überwand seine Hemmungen. Ein lauter Knall. Der Körper des Mannes federte kurz vom Boden hoch. Das Geröchel verstummte.
Sofort ging Sil wieder hinter dem Aktenschrank in Deckung, presste sich zwischen Wand und Schrank und wartete. Wenn sie nicht stocktaub war, musste Anna den Schuss gehört haben. Sie würde garantiert hierherkommen. Er blieb mucksmäuschenstill stehen und horchte. Keine Schritte. Kein Atmen. Keine Türen, die auf- oder zugingen. Kein startender BMW Z3, der mit quietschenden Reifen losfuhr. Nichts. Er blieb an die zehn Minuten so stehen. Dachte nach. Was hatte sie gehört? Wie schwer war sie bewaffnet? Was konnte ihn hinter dieser Tür auf der linken Seite erwarten? Wie sah der Rest dieser Halle aus?
Die Zeit verstrich. Nichts geschah. Er wurde allmählich ungeduldig. Er hatte keine Lust mehr, dort stehen zu bleiben, wollte lieber herausfinden, wo Anna war. Selbst wenn sie aus dem Gebäude geflüchtet war, könnte er sie noch in dieser Nacht aufspüren. Er kannte ihr Haus. Ihr Auto. Ihre Firma. Das Boot ihres Mannes. Und er kannte noch drei weitere Orte, wohin sie sich wenden konnte: die beiden Gebäude in Venlo und die Autowerkstatt in Rotterdam. Irgendwo würde er sie erwischen. Es musste nicht unbedingt hier passieren. Aber auf jeden Fall so schnell wie möglich. Bevor sie weitere Auftragskiller auf ihn hetzen konnte, die wie Cruisemissiles arbeiteten: Einmal abgefeuert, ließen sie nicht locker, bevor sie ihr Ziel eliminiert hatten. Das musste er verhindern.
Er wagte sich hinter dem Schrank hervor. Ging zur Tür, drückte langsam die Klinke hinunter. Die Tür ging nach innen auf. Er zog sie auf sich zu, sorgfältig darauf bedacht, in der Türöffnung kein Angriffsziel zu bieten. Dann wartete er erneut, halb hinter die Tür geduckt. Wieder geschah nichts. Stille umgab ihn.
Er schaute sich dem angrenzenden Raum genau an. Es war ein Magazin. Licht brannte, ebenso grell wie im Büro. In der Halle standen Regale mit Beleuchtungsapparaturen, Stativen, Gleisen, Farbeimern und allem möglichen anderen Krempel. Der Raum war höchstens fünfzehn Meter tief, mehr nicht. Er konnte das weiße Spundwandprofil auf der anderen Seite erkennen, aber nicht den gesamten Raum überblicken. Dafür musste er sich weiter vorwagen. Er schob sich durch die Türöffnung, trat einen Schritt beiseite und wollte sich dicht an die Mauer pressen.
Da traf ihn ein Dampfhammer an der Schulter. Jedenfalls fühlte es sich so an. Erst danach hörte er den Schuss, wie zeitversetzt. Er begriff, dass er angeschossen worden war. Er ließ sich seitwärts zu Boden fallen. Er war noch nicht auf dem grauen Betonboden aufgekommen, als ihm jemand einen knallharten Tritt gegen die Hand versetzte. Der Schmerz fuhr ihm durch Mark und Bein, und er ließ die Waffe los. Seine Finger verweigerten ihm den Dienst. Die HK rutschte aus seiner bebenden Hand und fiel klappernd zu Boden. Aus den Augenwinkeln heraus sah er braune Damenschnürstiefel mit spitzen Metallkappen. Eine davon kam mit Lichtgeschwindigkeit auf ihn zu. Er versuchte, den Kopf aufzuwenden, doch seine Reaktion kam um hundertstel Sekunden zu spät. Ein scharfer Schmerz fuhr durch sein Gesicht. Er hörte sein Nasenbein brechen, und Blut quoll ihm in den Mund.
Verdammt!
»Na, ein bisschen Krieg spielen, Meneer Maier?«
Eine harte, völlig emotionslose Frauenstimme mit slawischem Akzent.
»Das war mein Finanzberater, den Sie da gerade in die ewigen Jagdgründe geschickt haben. Jemand, der mir viel bedeutet hat. Um genau zu sein, der einzige Mann, der mir überhaupt etwas bedeutet hat. Das war äußerst gedankenlos von Ihnen.«
Langsam drehte er den Kopf in Richtung der Stimme. Er versuchte, klar zu sehen. Es gelang ihm nicht. Er war völlig desorientiert. Alles verbarg sich hinter einem roten Schleier. Das musste Blut sein. Ihm lief Blut in die Augen. Er kniff die Augen zusammen. Versuchte, das Blut von seiner Netzhaut wegzublinzeln. Ihm tränten die Augen. Er zwinkerte wieder und wieder. Sein Blick schärfte sich, und die Farben kehrten wieder.
Gesichter beugten sich über ihn, weit
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