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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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langweiligen Weg bis nach Almere kein einziges Mal über die erlaubte Höchstgeschwindigkeit hinaus.
    Nach einer halben Stunde sah er das futuristische, aus Glas und Metall errichtete Gebäude von Programs4You zu seiner Linken liegen. Dahinter befanden sich etwa ein Dutzend dunkelblaue Lagerhallen, die vermutlich als Studios oder als Materialspeicher dienten. Der umfangreiche Komplex lag ein ganzes Ende von den Wohngebieten entfernt, verloren inmitten einer vollkommen ebenen, künstlich angelegten Polderlandschaft mit jungen Bäumen und ausgedehnten Wiesen.
    Er bog in die lange Zufahrtsstraße zu dem Medienunternehmen ein, kehrte jedoch sofort wieder um, als er Pauls silbergrauen BMW direkt vor dem Haupteingang entdeckte. Der Wagen war unmöglich zu übersehen, weil er auf einer absurden, mit goldenen Pfosten und dicken, roten Tauen abgetrennten Sonderparkfläche stand. Sil kannte so etwas von einer Firma her, mit der er früher Geschäfte gemacht hatte. Derartige Parkplätze waren entweder dem »Verkäufer des Monats« oder dem Direktor vorbehalten. Amerikanische Verhältnisse. Typisch für diesen aufgeblasenen Schlappschwanz von Paul, sich einen solchen Parkplatz herrichten zu lassen. Bestimmt war er selbst auf diese Idee gekommen.
    Fünfhundert Meter weiter fand er einen Grünstreifen mit zahlreichen Sträuchern und jungen Bäumen, hinter denen sich ein Graben entlangzog. Er schob sein Motorrad zwischen die Sträucher, fand eine platt getretene Dose, die er unter einen der Ständerarme schob, warf seinen Rucksack in den Graben und legte sich daneben.
    Abgesehen von dem kalten, feuchten Boden war dies ein idealer Platz. Profis nannten so etwas einen Observationsposten. Primitiv und wesentlich weniger komfortabel, als jemanden von einem warmen, trockenen Auto aus zu beobachten. Aber mit ein bisschen Abhärtung lebte es sich länger. Von den schützenden Sträuchern aus ließ er den Blick über den Parkplatz wandern. Zwei Autos fuhren nacheinander weg. Er duckte sich etwas tiefer zwischen die Blätter. Betrachtete die Gesichter der Insassen. Paul war nicht dabei. Er verspürte ein enormes Bedürfnis nach Nikotin, unterdrückte es jedoch. Er würde nur unnötige Spuren hinterlassen. Außerdem könnte der Rauch ihn verraten. Er schaute durch die herbstlichen Zweige hindurch hoch zum Himmel. Es sah nicht nach Regen aus. Ein Glückstreffer.
    Gegen sechs Uhr wurde es dunkel. Er hatte bereits dutzende Autos vorüberfahren sehen. Nur Pauls BMW stand noch auf dem Parkplatz, der jetzt von einigen Laternen erleuchtet wurde. Sil wurde ungeduldig. Er verspürte ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen und streckte sie nacheinander aus. Er merkte, wie erschöpft er war, sowohl körperlich als auch geistig. Zu wenig Schlaf und die aufwühlenden Ereignisse der letzten Tage forderten ihren Tribut.
    Heute Morgen war Alice eingeäschert worden. In der Erinnerung kam ihm das gesamte Ereignis surrealistisch vor. Er hatte einen dunkelblauen Anzug angezogen und sich unbehaglich darin gefühlt. Ganz vorn in der kirchenartigen Halle sitzend, hatte er den weißen, glänzenden Sarg angestarrt und sich gesagt, dass darin nichts weiter lag als eine leere Hülle, das abgestorbene Fleisch einer Frau, die einst Alice gewesen war. Die er geliebt hatte und die er noch immer liebte. Die Andacht an sich tröstete ihn nicht im Geringsten. Ein wenig Genugtuung bereitete ihm die Erkenntnis, dass Alice ihre eigene Beerdigung wundervoll gefunden hätte. Der Bestatter hatte eine bunte, unorthodoxe Schar zusammengetrommelt, die voller Hingabe drei Stücke spielte, darunter Caravan. Um ihn herum hatten die Leute geweint. Alice’ Mutter am allerlautesten. Während die Musiker spielten, hatte er den Blick gehoben und sich wider besseres Wissen vorgestellt, dass Alice auf einer kleinen Wolke schwebte und hinunterschaute, die Beine über den Rand baumeln ließ, lächelte und die Musik mitsummte. Anschließend hatte er allen die Hand geschüttelt und sich mechanisch für die Beileidswünsche bedankt.
    Der große Abwesende war Paul, und das erstaunte ihn keineswegs. Paul war schließlich nicht lebensmüde. Ihm musste klar sein, dass er zu weit gegangen war. Zumindest sollte er nervös sein. Und auf der Hut. Sil schaute erneut hinüber zu dem Parkplatz. Der BMW stand immer noch da. Im Gebäude sah er Licht brennen.
    Erst gegen halb sieben erschien ein großer Mann mit dunklen Haaren am Haupteingang. Es war Paul; selbst aus dieser Distanz heraus war er

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