Verraten
Mittelpunkt. Nach einem gewalttätigen Überfall wäre es mit ihrer Selbstsicherheit ein für alle Mal vorbei.
Idiot!, schalt er sich selbst, wie konntest du nur so überstürzt aufbrechen, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken? Was willst du hier eigentlich?
Gleich darauf fiel ihm noch etwas Unangenehmes ein. Sein Auto. Es stand nur ein paar Straßen weiter. Zwar war es schon spät, aber noch nicht so spät, dass die Straßen völlig ausgestorben waren. Und ein schicker Porsche, keine vier Jahre alt, war so ziemlich das letzte Transportmittel, mit dem man nicht auffiel. Wenn irgendjemand den Porsche gesehen hatte und es würde jemals eine Befragung der Nachbarschaft durchgeführt, würde man sich hundertprozentig an seinen Wagen erinnern. Vielleicht sogar an einen Teil des Kennzeichens.
Da wurde ihm klar, dass er in dieser Nacht nichts ausrichten konnte. Rein gar nichts. Er war mit einem nach Vergeltung schreienden Herzen von zu Hause aufgebrochen, einem Herzen, das seinen Verstand einfach übertönt hatte. Er erkannte, dass er die Katastrophe nur noch verschlimmern würde, wenn er jetzt weitermachte.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf spürte er, wie er langsam ruhiger wurde. Er warf einen Blick auf die Rückwand des Hauses und beschloss, sich ein wenig umzuschauen. Wo er nun schon einmal hier war. Informationen zu sammeln konnte nie schaden. Für das nächste Mal.
Er schlich den Weg an der Garage entlang bis ans Küchenfenster. Die Gardinen waren fest zugezogen. Leise ging er weiter, an der Hintertür vorbei, bis zu dem Fenster, hinter dem er das Wohnzimmer vermutete. Auch hier waren die Gardinen zugezogen, und er konnte nichts erkennen. Er schlich weiter bis ans Ende der Mauer, schlug einen Bogen um die große Regentonne und schaute um die Ecke. Ein schmaler, gewundener Rasenstreifen schlängelte sich zwischen Beeten und Sträuchern hindurch bis zum Vorgarten.
Fünf Meter von der Ecke entfernt befand sich ein Fenster in der Seitenfassade, halb verborgen hinter großen Sommerfliedersträuchern. Er schaltete die Taschenlampe ein und ließ den Lichtkegel über den Boden vor seinen Füßen wandern. Auf den Beeten lag eine dicke Mulchschicht. Über Fußspuren brauchte er sich hier keine Sorgen zu machen. Er ging einen Schritt nach vorn. Ließ den Lichtstrahl von links nach rechts und am Fensterrahmen hinaufwandern. Schaute zum Fenster hinein. Es war eine Art Arbeitszimmer mit hohen Bücherregalen. Ein violetter oder dunkelroter Teppich lag auf dem Boden. Mitten im Raum stand ein antiker englischer Schreibtisch mit lederbezogener Tischplatte. Ein Stapel Post, einige Papiere, ein Fax und ein Telefon. Der Lichtstrahl schwenkte nach links. Als Blickfang hing mitten an der Wand ein großes eingerahmtes Foto von einer schwarzen Yacht.
Er hörte schon seit einer Weile das Brummen eines Motors. In der Stille der Nacht nahm man alle Geräusche deutlicher wahr, deshalb hatte er zunächst nicht darauf geachtet. Doch jetzt, als das Brummen anschwoll und sich immer mehr zu nähern schien, drehte er blitzschnell die Taschenlampe aus. Er rannte zur Vorderseite des Hauses und traf genau in dem Moment dort ein, als Pauls schwarzer BMW Z3 in die Einfahrt einbog.
Er lief zurück zu dem Seitenfenster und duckte sich mit angehaltenem Atem zwischen dem Sommerflieder auf den Boden. Er hörte den Kies unter den Reifen knirschen. Der Motor drehte im Leerlauf, und eine Autotür wurde geöffnet. Schritte auf dem Kies. Das Klimpern eines Schlüsselbundes. Ein Garagentor wurde geöffnet. Dann das andere. Wieder Schritte auf dem Kies. Jetzt schwoll das Motorgeräusch an und erstarb kurz darauf. Er hörte, wie jemand die beiden Flügel des Garagentores schloss und im nächsten Moment legte sich die Stille wie eine Decke über ihn.
Gebückt schlich er zur Rückseite des Hauses und duckte sich hinter die Regentonne. Wartete. Hörte, wie die Hintertür der Garage aufgeschlossen wurde. Sah die Tür aufgehen. Es war eine Frau. Sie war allein. Das musste Anna sein. Sie trug einen langen Mantel und hatte eine Tasche bei sich. Sie schloss die Garagentür hinter sich ab und ging den Gartenweg entlang zur Hintertür des Hauses. Unwillkürlich duckte er sich tiefer hinter die Regentonne und hörte, wie Anna die Hintertür öffnete, hineinging und die Tür hinter sich abschloss. In der Küche wurde Licht eingeschaltet, das einen rechteckigen Schein auf die Terrasse und einen Teil des Rasens warf. Er hörte sie drinnen rumoren. Schränke wurden
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