Verrückt bleiben
nieder. Wenn Sie möchten, dass XY eine Kapsel mit Ihrer Asche um den Hals trägt, leiten Sie es jetzt in die Wege. Choreographieren Sie über Ihren Tod hinaus. Sorgen Sie dafür, dass Sie Sie selber bleiben, dass Sie nicht irgendwo von irgendwem irgendwie verscharrt werden. Seien Sie einzigartig, auch im Tod. Segnen Sie das Zeitliche zu Ihren Lebzeiten.
EPILOG
Das Buch ist fertig. Ich belohne mich mit einer Reise. Ich überwinde den Impuls, diesen freien Tag einfach zu vergammeln. Ich möchte erleben! Wo will ich hinfahren? Paris ist von Leipzig zu weit, Berlin zu alltäglich. Ich studiere den Fahrplan, mein Finger landet auf Prag. Wie lange dauert das, was kostet das, fährt ein Zug dorthin durch? Ja, 6.51 Uhr ab Leipzig, 10.25 an Prag. Im Zug lesen, in Prag durch die Stadt bummeln, im Café sitzen und schreiben, Sachen erleben, die Dinge geschehen lassen. 18.31 Uhr ab Prag zurück, 22.17 an Leipzig.
Das kostet nur 70 Euro mit meiner Bahncard 50 Prozent 2. Klasse. Der Wecker klingelt um 5.45 Uhr. Ich bin voller Vorfreude, voller Tatendrang. Im Zug sitze ich am Fenster und lese Kafkas »Amerika«. Als ich in Prag aussteige, bei strahlendem Sonnenschein, weiß ich, dass ich Kafkas Grab besuchen will. Die Dame von der Bahnhofsinformation sagt, er liege auf dem Jüdischen Friedhof. Ich frage mich durch zur Josephstadt und reihe mich zwischen Touristengruppen in die Schlange ein. Ein Ehepaar aus Schwaben steht hinter mir. Sie wollen zum Grab von Rabbi Löw, dem Sinnbild für das mystische Prag. Sie blättern in einem Reiseführer. Ich bitte sie, nachzusehen, wo Kafka liegt, und erfahre, dass ich am Alten Jüdischen Friedhof bin und er auf dem Neuen begraben ist, am anderen Ende der Stadt. Kafka-Fans, steht im Reiseführer der Schwaben, pilgern täglich aus aller Welt zu diesem Grab und hinterlassen Blumen und kleine Botschaften.
Ich schere aus der Schlange aus und nehme mir ein Taxi. Als ich den Neuen Jüdischen Friedhof betrete, schickt mir meine Freundin Leah eine SMS: »Loriot ist tot.« Ich bleibe stehen.»Noch 150 Meter bis zu Dr. Franz Kafkas Grab«, sagt das Hinweisschild, und Loriot ist tot. Ich laufe weiter, stehe vor Kafkas Grab und möchte ihm eine Botschaft hinterlassen, aber was? Ich reiße eine Seite aus meinem Notizbuch und schreibe: »Lieber Franz, ich bin heute nach Prag gekommen, um dein Grab zu besuchen, und jetzt ist Loriot gestorben. Else.« In diesem Moment, mit diesem unsinnigen handgeschriebenen Zettel in der Hand, bin ich der reine Tor. Wie Parsifal, »durch Mitleid wissend, der reine Tor …« Ich denke nicht darüber nach, was ich tue und warum ich das tue oder wie das wirkt, was ich tue. Ich bin vollkommen frei, eine Lebende zwischen Toten. Nur Kafka, Loriot und ich. Das ist ein Glücksmoment, der nur mir allein gehört.
Leipzig, im August 2011
Danksagungen:
Hans Böcking, Sada Gudrun Bergmann, Gunnar Cynybulk, Kristina Drevikovska, Thomas Feix, Susanne Friedrich, Herbert Feuerstein, Sebastian Graalfs, Juliette Guttmann, Leah Herz, Corwin von Kuhwede, Pea Lehmann, Carolin Masur, Henriette Ohno, Stefan Petraschewsky, Udo Reiter
Informationen zum Buch
Eine Anleitung zum Verrücktbleiben – ohne verrückt zu werden
Als Wetterfee oder Skandalautorin stand sie im Scheinwerferlicht, als Tempelbewohnerin und Sterbebegleiterin suchte sie die Abgeschiedenheit. Stets folgte sie ihren eigenen Regeln. In diesem mutigen, radikalen Buch zieht Else Buschheuer Bilanz und erzählt, wie der Drahtseilakt des Daseins zu bewältigen ist: Indem man niemandem als sich selbst glaubt, im rechten Moment nein sagt, die Hosen runterlässt und wieder hochzieht. „Verrückt bleiben!“ ist ein Angebot, ein Mutmacher, ein Wachküsser.
„Verrückt bleiben!“ ist ein sehr persönliches Buch, das den Leser an Else Buschheuers Schicksal teilhaben lässt. Naseweis und weise erklärt sie uns, wie der Drahtseilakt Leben zu bewältigen sei: Indem man selber denkt, sich von seinen Besitztümern befreit, hinfällt, wieder aufsteht, niemandem als sich selbst glaubt, im rechten Moment nein sagt, die Hosen runterlässt und wieder hochzieht. Ihr Buch ist ein Pamphlet wider die Lebensplanung, eine Ode an die Unzulänglichkeit, eine Ermunterung zum echten Leben.
„Ich werde jeden Tag mit feurigem Atem begrüßen.“
„Furchtlos sein! Nicht warten, was die anderen sagen!“
„Es ist nicht zu spät.“
Informationen zur Autorin
ELSE BUSCHHEUER wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als
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