Verrückt bleiben
Autoschlüssel in seinen kalten Händen, der Sargdeckel schließt sich über ihm, und es wird ganz dunkel, für immer dunkel.
Es war eine sinnliche Erfahrung, die kalten, schweren Körper zu heben, die geruchlosen Haare zu waschen, die Münder zu schließen. Ich habe versucht, mir das Leben der Person vorzustellen, die ich gerade wusch. Ich habe den Tod begriffen, indem ich tote Körper versorgte. Im nächsten Leben könnte ich mir vorstellen, Leichenwäscherin zu werden, dem Aufruhr des Lebens den Frieden des Todes entgegenzusetzen. Man kann fast sagen, ich stehe durch meine Begegnung mit Leichen auf vertrautem Fuß mit dem Tod. Es ist wie in »Opfergang«, als Kristina Söderbaum zu Carl Raddatz sagt: »Man ist ihm immer nah, dem Tod. Und es ist auch ganz gut, wenn man ihm ab und zu ein wenig zulächelt. Und sagt: ›Du bist mein Freund.‹«
Der japanische Film »After Life« spielt im Limbo, einer Art Grenzstation zwischen Himmel und Erde. Dort laufen die Gestorbenen auf. Sie müssen sich ihre Leben ansehen, Jahr für Jahr, auf Videokassetten, und einen Moment heraussuchen, in dem sie die Ewigkeit verbringen wollen. In welchem Moment würden Sie die Ewigkeit verbringen wollen, wenn es eine gäbe? Suchen Sie sich vorsichtshalber zu Lebzeiten einen aus (siehe Kapitel »Glücksmomente«). In dem Moment, in dem ich gern meine Ewigkeit verbringen würde, bin ich vier Jahre altund warte am Kindergartenzaun auf meine Omi. Die Sirene heult. Jeden Mittwoch um eins heult die Sirene. Und wenn die Sirene heult, kommt meine Omi und holt mich ab.
Der Mensch lebt durchschnittlich 80 Jahre. Aber tot ist er für immer, und immer ist eine verdammt lange Zeit. Wie will ich tot sein? Ist mir das egal? Welche Kleidung möchte ich auf meinem letzten Weg tragen? Was würde ich gern in den Händen halten, wenn ich tot bin, einen Autoschlüssel, einen Geigenbogen, ein Laptop? Wünsche ich einen Zentner Marmor auf der Brust? Will ich lieber in Rauch aufgehen? Ein Brillantring werden? Gefriergetrocknet sein, aufrecht stehend in flüssigem Stickstoff schwimmen? Wer soll meinen Körper fressen, Maden oder Fische? Möchte ich eine Feier? Wer soll eingeladen werden? Wer soll reden? Wer soll das bezahlen?
»Mußt Du wirklich sterben?«, fragt der Sohn den Vater, der einen Hirntumor hat, in Andreas Dresens Film »Halt auf freier Strecke«. Der Vater bejaht. Dann sagt der Junge: »Krieg ich dann dein iPhone?«
Sorgen Sie vor! Regeln Sie Ihre Bestattungsmodalitäten. Legen Sie was auf die Seite. Wenn Sie Organe, Gewebe, Knochen spenden wollen – machen Sie das schriftlich. Schreiben Sie Ihren eigenen Nachruf, wählen Sie den Spruch für den Grabstein aus, suchen Sie Musik aus, entwerfen Sie eine Annonce, inszenieren Sie eine Testamentseröffnung, auf der einige Kiefer runterklappen werden – vielleicht nehmen Sie dafür ein Video auf? Das alles klingt morbider, als es ist, und es ist viel naheliegender, als es klingt. Ich kann Ihnen ja schlecht zu einem selbstbestimmten Leben raten, auf das ein beiläufiger, zufälliger, fremdbestimmter Tod folgt. Das geht nicht.
Ramses, Tutanchamun und seine Pharaonenkollegen ließen sich prächtige Pyramiden bauen, in denen sie tot sein wollten.
Der Schauspieler Frank Sinatra wurde stilgerecht in einem blauen Anzug mit einer Flasche Whisky beerdigt. Der letzteWille der 27-jährigen Sängerin Amy Winehouse, ihre Asche in die Urne ihrer geliebten Großmutter zu streuen, wurde am 27. Juli 2011 erfüllt. Mein Kollege erzählte mir neulich auf einem Dreh, er habe dafür gesparrt, fünf engen Freunden Tickets nach New York zu bezahlen. Sie sollen mit seiner Urne im Handgepäck hinfliegen und ihn vom Empire State Building streuen.
Nehmen Sie Ihren eigenen Tod in die Hand. Riskieren Sie kein »Das hätte ihr bestimmt gefallen«, wenn es zu spät ist. Was wissen schon die anderen? Einander kennen? »Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren«, schreibt Georg Büchner in »Dantons Tod«. Und das ist ja auch nicht die Lösung.
Eins ist sicher: Ihr Tod wird kommen, egal ob morgen, nächstes Jahr oder erst in einem halben Jahrhundert. Erdbestattung, Feuerbestattung, Seebestattung, Almwiese, Baum, Bergbach, Felsen, Friedwald, Luft, Verstreuen der Asche – Sie haben die Wahl.
Möchten Sie eine buddhistische Bestattung, aber Ihre Familie hat keine Ahnung, was das ist? Wollen Sie mit den Füßen nach Mekka begraben werden? Legen Sie das um Himmels willen
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