Verrueckt nach Brause
Spiegel sehe, erinnert
mich nicht an die Mädels aus Rio de Janeiro. Das hier ist dann eher so Samba in
Mettmann. Ich bekomme nicht mal den Reißverschluss zu. Der Knopf ist ca. 10 cm
vom Knopfloch entfernt, dazwischen sucht sich mein Bauchspeck seinen Weg.
Dieser Weg wird kein leichter sein…, fällt mir bei der Gelegenheit Xavier
wieder ein. Und dabei jetzt ein bauchfreies Top, und ich würde bei Dirk einen
bleibenden Eindruck hinterlassen, denke ich und muss fast selber über diesen
traurigen Anblick lachen.
Die Reichen und
Schönen dieser Welt, die kurz nach Schwangerschaft und Geburt schlanker sind
als vorher, lassen uns Normalo-Frauen aber auch ganz schön blöd dastehen.
Man nehme Heidi
Klum. Die wird nach jeder Geburt schöner und schlanker. Vielleicht liegt’s
daran, dass sie immer bei Mc Doof schlemmt. Oder Giselle Bündchen… sieht nach ihrer
ersten Geburt selbstredend 1a aus und erzählt dann auch noch, sie habe während
der Schwangerschaft kaum zugenommen, und die Geburt war bei ihr natürlich auch
völlig schmerzfrei, wie 'ne Geburt das nun mal so an sich hat.
Sind solche Frauen
nicht hassenswert? So ein Gesülze glauben doch höchstens die Männer.
Und dass die
Realität ganz anders aussieht, davon durfte ich mich vorhin noch überzeugen,
als mir auf dem Nachhauseweg zwei junge Mädchen entgegenkamen mit
Mörderplauzen. Gab's früher eigentlich auch schon so viele fette Mädchen und
keiner hat's gemerkt, weil die damals keine Hüfthosen mit bauchfreien Tops
trugen?
All das geht mir
durch den Kopf, als ich das Elend in meinem Spiegel nochmals eingehend
betrachte.
Ich nehme mir feste
vor, bis Samstag nichts mehr zu essen. Vielleicht krieg ich die Jeans dann ja
doch noch zu. Denn abgesehen vom Bauchbereich, sehe ich darin rattenscharf aus.
Heute habe ich auch
endlich den Termin bei dem Sozialdienst. Ich musste jetzt drei Monate warten
und bin auch nur „so schnell“ an die Reihe gekommen, weil jemand anders
abgesprungen ist. Na, da bin ich ja mal ordentlich gespannt, ob die einem
weiterhelfen können. Irgendeine Erklärung muss es ja schließlich dafür geben,
dass mein Sohn trotz überdurchschnittlicher Intelligenz nur mittelmäßige
Leistungen in der Schule erbringt. Vielleicht hat er ja tatsächlich eine
Konzentrationsschwäche oder vielleicht hat er auch von mir die intellektuelle
Hochbegabung geerbt. Man hat ja schließlich schon oft genug von solchen Fällen
gehört, in denen Kinder total unterfordert waren, es niemand erkannt hat und
sie später zu Schulversagern wurden.
Wer weiß, was aus
mir geworden wäre, wenn meine Eltern früher mal erkannt hätten, wie begabt ich
bin. Dann wäre ich heute sicher keine Rechtsanwaltsgehilfin. Aber mein Vater
war wahrscheinlich früher schon mit seinen Damenbekanntschaften beschäftigt und
meine Mutter damit, davor die Augen zu verschließen. Tja, so kann es gehen. Da
kann Tom ja froh sein, dass das heutzutage etwas anders läuft, und man bei
Kindern spezielle Testverfahren anwendet. Zu meiner Schulzeit war von sowas ja
noch keine Rede. Wenn du da in der Schule nicht mitkamst, warste eben blöd und
hattest Pech gehabt. Wie gut, dass die heutige Generation da ganz andere
Chancen hat, denke ich, während ich auf das Zimmer der für mich zuständigen
Beraterin zusteuere.
„Barth,
Diplom-Sozialpädagogin“, steht auf dem Türschild. Ich klopfe an und werde
hereingerufen. Da sitzt sie nun, die Frau Barth, hinter ihrem Schreibtisch und
macht ihrem Namen alle Ehre, denn um ihren Mund herum sehe ich einen dunklen
Flaum.
„Guten Tag, Frau
Fischer. So setzen Sie sich doch und erzählen mir mal, was Sie zu mir führt.“
„Guten Tag, Frau
Barth. Die Lehrerin meines Sohnes Tom schickt mich her. Sie meinte, mein Sohn
würde trotz überdurchschnittlicher Intelligenz in der Schule nur mäßige
Leistungen erzielen. Es sollte mal ein Konzentrationstest und ein Test auf
Hochbegabung gemacht werden.“ (Das mit der Hochbegabung habe ich mir selbst
dazu gedichtet, aber kann ja schließlich nicht schaden.)
„So schnell geht das
nicht, Frau Fischer. Ob überhaupt Tests durchgeführt werden, das entscheide
ich“, sagt sie wichtigtuerisch. „Erzählen Sie mir erst einmal etwas über ihre
häusliche Situation.“
Als ich ihr dann
erzähle, dass ich alleinerziehend bin, scheint für sie der Fall geklärt zu sein
und sie sagt:
„Ja, wenn das so
ist, Frau Fischer, dann sollten wir wohl am besten gleich einen erneuten Termin
machen für eine Erziehungsberatung.
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